Besetzerinnen: „Sich reinsetzen in eine Wohnung“

Wohnen

Exponatentyp
Filmdokumentation, Video
Datum
1983
Dauer
06:24 min

Besetzerinnen: „Sich reinsetzen in eine Wohnung“

Wohnen

Gerd Barz produziert den Film „Wohnungsprobleme 1982/83 – Dokument I“ 1983 für die Staatliche Filmdokumentation (SFD). Die SFD stellt Filme her, die nicht für die Öffentlichkeit der DDR bestimmt sind. Sie sollen als historische Dokumente für zukünftige Generationen dienen. Dadurch können Filmemacher:innen Themen behandeln, die anderenfalls keine Dreherlaubnis erhalten würden. Der Film dokumentiert ein Streitgespräch zwischen zwei jungen Wohnungsbesetzerinnen im Berliner Prenzlauer Berg und einem anderen Mieter. Dieser ist gegen ihren „illegalen“ Wohnungsbezug. Die beiden jungen Mütter erklären, dass sie in einer Notlage und ohne Wohnung sind. Da Staat und Partei nicht für eine Wohnung sorgen können, mussten sie sich selbst helfen. Ob sie damit gegen Gesetze verstoßen, ist ihnen egal. Der gesamte Film hat eine Länge von 110 Minuten.

Min. 00:00: Einführung/Beginn
Min. 00:25: SFD-Redakteur eröffnet das Streitgespräch
Min. 03:22: Herr L. fragt nach den Gründen für den Einzug
Min. 04:49: Frau N. sagt, dass das Gesetz sie nicht interessiert

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Allgemeine Informationen

Titel: Dokumente zur Lebensweise. Wohnungsprobleme 1982/83 – Dokument I

Medienart: Dokumentarfilm

Regie: Gerd Barz

Jahr: 1983

Besitzende Einrichtung: Bundesarchiv-Filmarchiv

Gesamtlänge: 01:49:47 h

Empfohlene Zitierweise: Bundesarchiv-Filmarchiv, Filmwerk ID: 6666, Signatur: 75123. Abgerufen unter: https://dut-ausstellung.de/source/besetzerinnen-sich-reinsetzen-in-eine-wohnung/.

Quelle in der digitalen Sammlung der Thulb

Der gesamte Film zur Ansicht im Digitalen Lesesaal des Bundesarchivs: https://digitaler-lesesaal.bundesarchiv.de/video/6666/714499

Transkript

Einführung/Beginn (Min. 00:00)

Frau N.: „Ja also im Haus hat sich keiner drum gekümmert, als ich hier eingezogen bin. Nur der Herr L., der hat sich aufgeregt. Der hat bei mir geklingelt. Ja, und im Hausbuch wollte er mich auch nicht eintragen, solange wie ich eben keine Einweisung habe. Ja, Schwierigkeiten hatte ich anfangs auf der Polizei. Zwei Jahre lang hat das gedauert, ehe man mich hier auf die Wohnung eingetragen hat.“

SFD-Redakteur eröffnet das Streitgespräch (Min. 00:25)

SFD-Redakteur Gerd Barz: „Herr L., wir haben eine Gesprächsrunde organisiert, wie sie sich in diesem Hause sonst nicht zusammenfindet…,“

Herr L.: „Hm.“

Gerhard Barz: „… weil es sehr unterschiedliche Meinungen zu dem Problem gibt. Können Sie uns ganz kurz mal sagen, welche Meinung Sie persönlich dazu haben, wenn jemand illegal eine Wohnung bezieht?“

Herr L.: „Ich hab gegen Illegale und Schwarzmieter … bin ich ganz hart dagegen. Weil ich mit dem Rat [der Stadt] eine Aussprache geführt habe, dass es so etwas nicht gibt, ja, und wir dagegen sind.“

Frau N.: „Der Hausbuchführer, beziehungsweise das hört sich ja nun sowieso blöd an, der Hausbuchführer – derjenige, der das Hausbuch hat –, der hat überhaupt nichts dazu zu sagen. Also ich möchte sagen, dass der Herr L. absolut sich in unsere Lage nicht reinsetzen kann.“

Frau F.: „Also ich meine, [Frau N.] war schwanger und ich war schwanger. Und wir wussten beide nicht wohin. Und das ist ja nun mal so, dass man, wenn man einen Wohnungsantrag stellt, sechs bis acht Jahre warten muss. So viel Zeit hat man dann eben nicht.“

Frau N. (leise zu ihr): „Sagen wir mal, das Kind hat nicht so viel Zeit.“

Herr L.: „So, in dieser Wohnung, wo Sie wohnten, wo Sie jetzt wohnen, habe ich gewohnt. Ich weiß, wie die Wohnverhältnisse da unten waren. Ich weiß auch, wie sie sind: Früh 13 Kohlen, mittags 13 Kohlen und abends so acht bis zehn Kohlen anzulegen. Und musste abends, bei ‘ner Kälte, möchte ich nochmal sagen, im Bett mein Abendbrot und mein Essen zu mir nehmen. Deswegen hat man gesagt, ja, die Wohnung sperren wir. Und ich würde nie mehr in die erste Etage runterziehen, wo ich…“

Frau N.: „Da können Sie aber mal sehen: Sie wollen nicht in der Wohnung wohnen. Und Sie verbieten das anderen, nun speziell [Frau F.], in dieser Wohnung zu wohnen, ja? Eben aus dem Grund, weil sie sich schwarz reingesetzt hat. Wie Sie sagten, die ist ja gesperrt worden. Und… da können Sie doch aber mal sehen… Man setzt sich doch nicht aus heiterem Himmel in so eine Wohnung rein!“

Herr L. fragt nach den Gründen für den Einzug (Min. 03:22)

Herr L.: „Warum ziehen wir denn in eine gesperrte Wohnung ein?“

Frau F.: „Weil ich die Wohnung brauchte.“

Herr L.: „Hat der Rat [der Stadt] nicht gesagt, wir werden Ihnen, …“

Frau F. (ein wenig lachend): „Nee, der Rat hat nichts gesagt!“

Herr L. (weiter): „… da Sie noch kein Kleinkind hatten …“

Frau F.: „… ich war aber im vierten Monat schwanger.“

Herr L.: „…wir werden Ihnen eine Wohnung zur Verfügung stellen?“

Beide Frauen: „Nee! nee!“

Frau N.: „Ich war mit Frau F. … Wir waren beide zusammen da.“

Frau F.: „Die haben zu mir gesagt, Sie wissen ja noch gar nicht, ob das Kind lebt, wenn es zur Welt kommt. Das haben sie zu mir gesagt.“

Frau N.: „Das Gesetz sagt dieses… und daran muss ich mich halten. Aber es geht ja nun mal in diesem Fall nicht. Und wenn ich zum Rat der Stadt gehe und wie ich gegangen bin… Und man sagt zu mir, in sechs Jahren können Sie wiederkommen. Und mein Kind leider Gottes keine sechs Jahre wartet…“

Herr L.: „Hm?“

Frau N.: „Ja, na, es ist ganz normal, dass ich dann erst mal versuche, mir irgendwo was zu suchen. Ich habe gewusst, dass diese Wohnung leer steht. Ich wusste auch, dass diese Wohnräume gesperrt sind. Und ich habe mich trotzdem reingesetzt. Ja. Ich meine, ob die Wohnungen leer stehen oder die Wohnungen werden trotzdem noch bewohnt, dass sie nicht ganz verfallen… Und dann kann keiner sagen, dass in zwei oder drei Jahren hier schon mal einer kommt und irgendwas rekonstruiert. Ich meine, das ist seit zehn Jahren der Fall, dass hier was gemacht werden soll, in diesem Haus.“

Herr L.: „Und?“

Frau N. sagt, dass das Gesetz sie nicht interessiert (Min. 04:49)

Frau N.: „Dass Sie da laufend kommen mit Ihren Gesetzen, das ist absolut… Das zählt doch in dem Moment für mich gar nicht. In dem Moment zählt für mich nur mein Kind. Und dass ich für mein Kind einen Wohnraum schaffen muss, wo es aufwachsen kann.“

Herr L.: „Hm, sehe ich alles ein. Aber ich kann mich nicht in eine fremde Wohnung reinsetzen…“

Frau N.: „Ich habe mich doch aber nun in die Wohnung reingesetzt. Und ich wohne seit vier Jahren in dieser Wohnung. Seit vier Jahren zahle ich meine Miete, regelmäßig. Jeden Monat regelmäßig zahle ich meine Miete, zahle mein Gas und Licht, habe aus der Wohnung ein Schloss gemacht. Im Gegensatz, wie die Wohnung vorher ausgesehen hat.“

Herr L.: „Ich weiß.“

Frau F.: „Und vor allen Dingen, die KWV kümmert sich doch gar nicht darum.“

Frau N.: „Und vor allen Dingen – erstens mal das, da kommt doch auch gar keiner.“

Frau F.: „Nicht mal der ABV.“

Herr L. (laut): „Seit 1971 … 1972 … wohnen hier…“

Frau N. (laut): „Ist mir doch egal, was hier wohnt!“

Herr L. (laut): „… sieben Mieter im Haus. Und nach und nach sind die sieben Mieter ausgezogen, weil sie, ich möchte nicht so gemein sein und sagen ‚Slum‘, sondern, weil sie das Mietverhältnis nicht ertragen konnten.“

Frau N.: „Aber da können Sie doch mal sehen! Ich bin darauf eingegangen auf das Mietrechtsverhältnis… Ich meine, ich habe zwar keinen Mietsvertrag. Ich habe ihn bis heute noch nicht…“

Herr L.: „Werden Sie auch nicht kriegen.“

Frau N.: „Ich meine…, werde ich auch nie kriegen. Das ist mir…, das ist mir egal. Das sage ich Ihnen ganz ehrlich. Jedenfalls bleibe ich in der Wohnung wohnen, ansonsten müsste man mich raustragen, ja.“

Interpretationsvorschläge

Der Film „Wohnungsprobleme“ ist eine Quelle für eigenmächtiges Handeln aus der Not heraus. Der Film wurde wie alle SFD-Produktionen ohne öffentliche Aufführung archiviert. Er sollte als Material für zukünftige Filmemacher:innen und Wissenschaftler:innen dienen, die sich später mit der DDR beschäftigen wollen.

Weitere Ausstellungskategorien

Gewalträume/Schutzräume Träume & Albträume

Quellenkritik

Zwischen den „Filmdokumenten“ aus der Staatlichen Filmdokumentation der DDR (SFD) und den weitaus bekannteren Filmen der staatlichen DEFA-Filmstudios besteht ein wesentlicher Unterschied: DEFA-Produktionen waren fertig produzierte Filme und für die öffentliche Aufführung in Kino und Fernsehen vorgesehen. SFD-Filme entstanden hingegen als Materialien für spätere Filmemacher:innen und Wissenschaftler:innen – sie sind filmische Archivalien. Bekannte DEFA-Spielfilme, die sich mit dem Thema ,Wohnen‘ beschäftigen, sind zum Beispiel „Die Legende von Paul und Paula“ (1973, Heiner Carow) oder der Kinderfilm „Insel der Schwäne“ (1983, Hermann Zschoche), der den Umzug eines Jungen vom Dorf nach Berlin-Marzahn schildert. Auch DEFA-Dokumentarfilme erzählen Geschichten über das Wohnen: so „Die neue Dimension“ (1981, Gerhard Jentsch), der zum X. Parteitag der SED den Zwischenstand des DDR-Wohnungsbauprogramms resümieren sollte, oder der Dreiteiler „Die dritte Haut“ (1989, Walter Heynowski / Gerhard Scheumann). Diese und andere DEFA-Filme sind Werke mit festgelegter Struktur, mit bestimmtem Anfang und Ende, mit gezielt aufgebauter Aussage. Für die Filmdokumente der SFD gilt dies nicht. Sie sind Ausgangsmaterialien für zukünftige Filme und Bausteine für zur Entstehungszeit noch unbekannte, spätere Zwecke. Dieser Offenheit des SFD-Bestands auf die Zukunft hin entsprachen besonders auch die Filme aus dem Dokumentationsbereich „Wohnen“. Da die „Wohnungsfrage“ in der DDR bis zum Jahr 1990 gelöst sein sollte, galten die 1983 in Gerd Barz‘ Film dargestellten „Wohnungsprobleme“ nur als ,schwerer Anfang‘ einer Geschichte, die 1990 positiv enden würde. Vor diesem Hintergrund ist überhaupt erst verständlich, warum ein solch massives Problem wie die unerlaubte Besetzung von eigentlich nicht bewohnbaren Wohnungen in Berlin-Prenzlauer Berg in einem DDR-Film überhaupt dargestellt werden konnte: Die Filme galten so lange als im Staatlichen Filmarchiv (SFA) eingelagerte „Sperrmaterialien“, bis es kein Wohnungsproblem mehr geben würde. Aufgrund ihrer Funktion als filmische Archivalien ist die Struktur der SFD-Filme so beschaffen, dass sie nicht als zusammenhängendes Ganzes rezipiert werden müssen. Auch „Wohnungsprobleme I“ besteht zunächst aus mehreren unverbundenen Sequenzen, die zuvor sogar teilweise als eigenständige Filme produziert worden waren. Der hier ausgewählte Filmausschnitt stammt aus Teil 4) mit dem Titel „Illegaler Wohnungsbezug“. Die anderen Teile heißen 1) „Interview mit dem Stadtbezirksrat Treptow für Wohnungspolitik, Antragsteller am Sprechtag“, 2) „Junges Ehepaar ohne eigenen Wohnraum“, 3) „Junges Ehepaar mit 2 Kindern“, 5) „Gemeinsame Wohnung nach Scheidung“. In sich selbst bestehen diese Teile des Films wiederum aus langen, kaum unterbrochenen Einstellungen, mit möglichst wenig Gestaltung durch Montage, Kommentar oder Musik. Auch in das Streitgespräch des Filmausschnitts greift der Redakteur nicht ein: Geschichte – so die generelle Idee und Erwartung – dokumentiert sich im SFD-Film von selbst.