Spätjournal-Beitrag „Kanzler Kohl in Buchenwald“

Kultur

Exponatentyp
Fernsehbeitrag, Video
Datum
10.06.1991
Dauer
02:23 min

Spätjournal-Beitrag „Kanzler Kohl in Buchenwald“

Kultur

Vor dem „Kleinen Parteitag“ der CDU in Weimar besucht Bundeskanzler Helmut Kohl am 10. Juni 1991 die Gedenkstätte Buchenwald. Er legt im Glockenturm des Mahnmals einen Kranz für die Opfer des KZ ab. Auf dem 1990 eingerichteten Trauerplatz am Nordhang des Ettersbergs gedenkt er der Toten des Speziallagers.

Der Fernsehbeitrag dokumentiert die Auseinandersetzungen um diesen Besuch. Während SBZ-/DDR-Opferverbände den Akt begrüßten, äußern NS-Opfer Kritik. Sie erinnern an die Bitburg-Kontroverse von 1985. Der Beitrag dokumentiert auch den Wandel der ostdeutschen Medien: Die Fernsehjournalist:innen wollen ihre neu gewonnenen Freiheiten nutzen und gesellschaftliche Missstände ansprechen. Teilweise sind sie dabei allerdings noch von den alten Sprachgewohnheiten der DDR geprägt.

Im Beitrag werden Aufnahmen aus den befreiten Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau gezeigt. Manche Bilder können emotional belastend wirken. Bitte achtet auf euch und schaut euch das Video ggf. gemeinsam mit einer anderen Person an.

Allgemeine Informationen

Titel: Spätjournal, Beitrag „Kanzler Kohl in Buchenwald“, Deutscher Fernsehfunk Länderkette, 10. Juni 1991

Medienart: Fernsehbeitrag, Video

Jahr: 1991

Gesamtlänge: 02:23 Minuten

Besitzende Einrichtung: Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv

Empfohlene Zitierweise: „Kanzler Kohl in Buchenwald“, Spätjournal, Deutscher Fernsehfunk Länderkette, 10.06.1991. Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv, Prod.-Nr.: 054505. Abgerufen unter: https://dut-ausstellung.de/source/spaetjournal-beitrag-kanzler-kohl-in-buchenwald/.

Quelle in der digitalen Sammlung der Thulb

Transkript

Off-Sprecher: „Weimar vor 46 Jahren: Genau am 16. April 1945 hatte ein Amerikaner den Bürgern der Stadt befohlen, sich das Konzentrationslager Buchenwald anzusehen. Und dann der Schock: Leichenberge dort, wo man arbeitende Häftlinge vermutet hat. So jedenfalls hatte es die NS-Propaganda den Deutschen vorgetäuscht. Sie können es nicht fassen. Wie war es möglich, dass dieser Massenmord vor ihrer Haustür passierte. Wäre Helmut Kohl zu der Zeit Bürger Weimars gewesen, er hätte den heutigen Tag nicht so beginnen können, wie er es tat. Sozusagen in einem Aufwasch hat der deutsche Kanzler jetzt die Opfer des Nationalsozialismus und des Stalinismus geehrt. Ein Vorgang, der den einen so wenig Gerechtigkeit widerfahren lässt wie den anderen. Mit einem Rundumschlag in die Ouvertüre zum sogenannten Kleinen CDU-Parteitag vereinnahmt zu werden, nun ja, eines haben die Opfer in der Tat gemein: ihre Wehrlosigkeit. Beide werden behandelt wie die zwei Seiten einer Medaille. Und eben gerade auf dieses falsche Bild scheint der Spagat über die deutsche Geschichte wohl auch zu zielen. Wer die Verantwortung für 50 Millionen Kriegstote in keinem Verhältnis findet zu dem, was auch immer von den Alliierten und später in der DDR veranlasst wurde, soll der sich doch vorkommen wie ein Krämer. Mit seinem Auftritt in Buchenwald stellt der Kanzler unter Beweis, dass er seit Bitburg noch um einiges gelenkiger geworden ist. Die Opfer des Stalinismus in eine Reihe zu stellen mit denen der NS-Diktatur, damit offenbart Kohl, wie wenig er von der Nachkriegszeit im deutschen Osten kennt. Damit brüskiert er die Kinder der DDR, denn sie sind nahezu alle an einem Tag ihrer Jugend in einem früheren Konzentrationslager gewesen und können zumindest ahnen, was deutscher Faschismus bedeutet hat. Wer Geschichte als Kulisse versteht, die sich gebrauchen lässt, droht von ihr überrollt zu werden.“

Interpretationsvorschläge

Der Weg zu einer unabhängigen Berichterstattung forderte die Journalist:innen in der (ehemaligen) DDR heraus. Sie mussten bisherige politische Ansichten überdenken und sprachliche Formulierungen ändern. Nicht allen gelang das sofort. Im Kommentar des vorliegenden „Spätjournal“-Beitrags wird das deutlich: Der Sprecher verteidigt stellenweise das DDR-Geschichtsbild zum KZ Buchenwald. Sprachlich erinnert sein Beitrag in einzelnen Formulierungen an offizielle Verlautbarungen aus der Zeit vor 1989.

Zu Beginn des Beitrags sind historische Aufnahmen aus dem Jahr 1945 zu sehen. Das US-amerikanische Militär filmte Weimarer Bürger:innen während ihres angeordneten Besuchs im befreiten Konzentrationslager Buchenwald. Nicht alle Aufnahmen stammen jedoch aus Buchenwald. Einige Filmbilder dokumentieren das Grauen im Konzentrationslager Dachau, das ebenfalls von US-amerikanischen Truppen befreit wurde (Min. 00:18-00:43).

Der Sprecher setzt den Besuch Helmut Kohls in Buchenwald mit den historischen Aufnahmen in Beziehung. Dabei kritisiert er die gleichzeitige Ehrung der KZ-Opfer und der Toten des Speziallagers Nr. 2. Die Insassen der beiden Lager würden nach dem Ende der DDR für politische Zwecke – hier die Zusammenkunft der CDU in Weimar – vereinnahmt werden.

Weitere Ausstellungskategorien

Gewalträume/Schutzräume Träume & Albträume

Quellenkritik

Der Beitrag entstand durch Journalist:innen des Deutschen Fernsehfunks-Länderkette. Es handelt sich dabei um das ehemalige DDR-Fernsehen. Bis 1989 kontrollierte die SED das Fernsehen, den Rundfunk und die Presse in der DDR. Infolge der politischen Veränderungen konnten die Medien erstmals unabhängig berichten. Nach der Wiedervereinigung wurden die ostdeutschen Rundfunk- und Fernsehsender bis Ende 1991 aufgelöst. Neue Programme traten an ihre Stelle, unter anderem der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR).