Off-Sprecher: „Weimar vor 46 Jahren: Genau am 16. April 1945 hatte ein Amerikaner den Bürgern der Stadt befohlen, sich das Konzentrationslager Buchenwald anzusehen. Und dann der Schock: Leichenberge dort, wo man arbeitende Häftlinge vermutet hat. So jedenfalls hatte es die NS-Propaganda den Deutschen vorgetäuscht. Sie können es nicht fassen. Wie war es möglich, dass dieser Massenmord vor ihrer Haustür passierte. Wäre Helmut Kohl zu der Zeit Bürger Weimars gewesen, er hätte den heutigen Tag nicht so beginnen können, wie er es tat. Sozusagen in einem Aufwasch hat der deutsche Kanzler jetzt die Opfer des Nationalsozialismus und des Stalinismus geehrt. Ein Vorgang, der den einen so wenig Gerechtigkeit widerfahren lässt wie den anderen. Mit einem Rundumschlag in die Ouvertüre zum sogenannten Kleinen CDU-Parteitag vereinnahmt zu werden, nun ja, eines haben die Opfer in der Tat gemein: ihre Wehrlosigkeit. Beide werden behandelt wie die zwei Seiten einer Medaille. Und eben gerade auf dieses falsche Bild scheint der Spagat über die deutsche Geschichte wohl auch zu zielen. Wer die Verantwortung für 50 Millionen Kriegstote in keinem Verhältnis findet zu dem, was auch immer von den Alliierten und später in der DDR veranlasst wurde, soll der sich doch vorkommen wie ein Krämer. Mit seinem Auftritt in Buchenwald stellt der Kanzler unter Beweis, dass er seit Bitburg noch um einiges gelenkiger geworden ist. Die Opfer des Stalinismus in eine Reihe zu stellen mit denen der NS-Diktatur, damit offenbart Kohl, wie wenig er von der Nachkriegszeit im deutschen Osten kennt. Damit brüskiert er die Kinder der DDR, denn sie sind nahezu alle an einem Tag ihrer Jugend in einem früheren Konzentrationslager gewesen und können zumindest ahnen, was deutscher Faschismus bedeutet hat. Wer Geschichte als Kulisse versteht, die sich gebrauchen lässt, droht von ihr überrollt zu werden.“