Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung

Wohnen

Exponatentyp
Dokument/Akte
Datum
03.10.1975
Dauer
01:14 min

Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung

Wohnen

Der zweiseitige handgeschriebene Antrag ist auf den 3. Oktober 1975 datiert. Der Vater einer sechsköpfigen Familie in der DDR beschreibt ihre schwierige Wohnsituation in einer Teilwohnung. Die Familie lebt beengt in 2 ½ Zimmern im Altbau. Das führt zu vielen Problemen: Schränke müssen im Hausflur stehen, weil der Platz für die Kinderbetten sonst nicht ausreicht. Die Eltern nutzen das Kinderzimmer gleichzeitig als Schlafzimmer. Durch die unterschiedlichen Arbeits- und Schulzeiten ist die Nachtruhe für alle Familienmitglieder oft gestört. Probleme gibt es auch im Bad: Dort fehlt eine Heizung. Im Winter bleibt es kalt.

Der Antrag gibt Einblick in die Wohnverhältnisse in der DDR.

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Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung, S. 1

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Halle, den 3.10.75

Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung.

Ich bewohne z.Zt. mit meiner Familie, bestehend aus zwei berufstätigen Erwachsenen und 4 Kindern (7; 8; 10; 16 Jahre) von denen das älteste die 11. Klasse der EOS besucht, eine 2 ½ Zimmer Teilwohnung (Altbau) incl. Küche, Bad, Balkon.

Meine Bemühungen über die Abt. Wohnraumlenkung des Rates des Stadtbezirkes West eine größere Wohnung zu erhalten, blieben, trotz des Status einer „kinderreichen Familie“, bisher erfolglos.

Auf Grund des beschränkten Wohnraumes und der Anordnung der Räume, ergeben sich im Zusammenhang mit dem Schulbesuch der heranwachsenden Kinder (Schularbeiten – Freizeitbeschäftigung – Nachtruhe) Probleme im Familienleben, die sich im Rahmen der 2 ½ Zimmer nicht lösen lassen, sowie Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Möbel. So sind einige Schränke auf den mit den anderen Mietern der Teilwohnung genutzten Korridor untergebracht, weil anders kein Platz für die Aufstellung der Kinderbetten zu schaffen war. Das Kinderzimmer (lediglich ein 1 Hoffenster) ist gleichzeitig Durchgangszimmer zum Bad und Schlafzimmer der Eltern, so daß eine ungestörte Nachtruhe der Kinder, bedingt durch unterschiedlichen Arbeits- bzw. Schulbeginn der

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Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung, S. 2

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Familienmitglieder nicht gewährleistet ist. Das zur Wohnung gehörende Bad ist auf Grund seiner Lage (3 Außenwände) in den Wintermonaten nicht zu benutzen, weil der zugehörige Wasserstrang bei Frost abgestellt werden muß, d.h. die tägliche Körperpflege und das Waschen der Leibwäsche findet während dieser Zeit in der Küche statt.

Ich bitte daher um die Unterstützung bei der Beschaffung einer Neubauwohnung (4 Zimmer mind.), wenn möglich in Halle-Neustadt, um meiner Familie ein befriedigendes Wohnniveau und Familienleben zu ermöglichen.

Hochachtungsvoll
[Unterschrift]

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Unterstützungsschreiben: Antrag des [anonym] betreffs Unterstützung bei der Beschaffung geeigneten Wohnraums

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[geschwärzt]
Bereich Wissenschaft und Technik

Halle,
TR-Lh/091/Ko
Journ.-Nr.

M i t t e i l u n g

Generaldirektor
Genossen Oertelt

im H a u s e

Antrag des [geschwärzt] betreffs Unterstützung bei der Beschaffung geeigneten Wohnraums


Die geschilderten Wohnverhältnisse des Genossen [geschwärzt] sind objektiv und realistisch dargestellt (siehe beiliegende Skizze).

Die bestehenden Wohnbedingungen und die bisher erfolglos gebliebenen Bemühungen der Veränderung stehen im Widerspruch zur Verordnung der Verbesserung der Lebenslage von Familien von 4 und mehr Kindern vom 3. Mai 1967.
Das an den Betrieb gerichtete Ersuchen um Hilfe bei der Beschaffung geeigneten Wohnraums sollte im Sinne des Beschlusses des Ministerrats – Beschluß über die Richtlinie zur Gewährung von Unterstützungen und Zuwendungen für Familien mit 4 und mehr Kindern vom 22. November 1973, Abschn. III – Schwarzdruck Nr. 21/73 – volle Unterstützung finden.

Genosse [geschwärzt] ist ein pflichtbewußter, bescheidener und zuverlässiger Mitarbeiter.
Die Klärung seiner gegenwärtigen Wohnverhältnisse dürfte nach meiner Auffassung sehr zur weiteren Ausprägung seines Persönlichkeitsbildes beitragen und seine Leistungsbereitschaft weiter anspornen.

[Unterschrift]
Wagner
Direktor für Wissenschaft und Technik

Allgemeine Informationen

Titel: Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung, 3.10.1975 / Unterstützungsschreiben: Antrag des [anonym] betreffs Unterstützung bei der Beschaffung geeigneten Wohnraums

Medienart: Brief, Eingabe

Autorin: anonym

Jahr: 1978

Gesamtumfang: 2 Seiten / 1 Seite

Besitzende Institution: Stadtarchiv Halle

Empfohlene Zitierweise: Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung, 03.10.1975. Stadtarchiv Halle, A 3.25 Nr. 65_2_(5). Abgerufen unter: https://dut-ausstellung.de/source/antrag-auf-zuweisung-einer-neubauwohnung/.

Sowie: Unterstützungsschreiben: Antrag des [anonym] betreffs Unterstützung bei der Beschaffung geeigneten Wohnraums. Stadtarchiv Halle, A 3.25 Nr. 65_2_(7). Abgerufen unter: https://dut-ausstellung.de/source/antrag-auf-zuweisung-einer-neubauwohnung/.

Quelle in der digitalen Sammlung der Thulb

Transkript

Halle, den 3.10.75

Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung.

Ich bewohne z.Zt. mit meiner Familie, bestehend aus zwei berufstätigen Erwachsenen und 4 Kindern (7; 8; 10; 16 Jahre) von denen das älteste die 11. Klasse der EOS besucht, eine 2 ½ Zimmer Teilwohnung (Altbau) incl. Küche, Bad, Balkon.

Meine Bemühungen über die Abt. Wohnraumlenkung des Rates des Stadtbezirkes West eine größere Wohnung zu erhalten, blieben, trotz des Status einer „kinderreichen Familie“, bisher erfolglos.

Auf Grund des beschränkten Wohnraumes und der Anordnung der Räume, ergeben sich im Zusammenhang mit dem Schulbesuch der heranwachsenden Kinder (Schularbeiten – Freizeitbeschäftigung – Nachtruhe) Probleme im Familienleben, die sich im Rahmen der 2 ½ Zimmer nicht lösen lassen, sowie Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Möbel. So sind einige Schränke auf den mit den anderen Mietern der Teilwohnung genutzten Korridor untergebracht, weil anders kein Platz für die Aufstellung der Kinderbetten zu schaffen war. Das Kinderzimmer (lediglich ein 1 Hoffenster) ist gleichzeitig Durchgangszimmer zum Bad und Schlafzimmer der Eltern, so daß eine ungestörte Nachtruhe der Kinder, bedingt durch unterschiedlichen Arbeits- bzw. Schulbeginn der Familienmitglieder nicht gewährleistet ist. Das zur Wohnung gehörende Bad ist auf Grund seiner Lage (3 Außenwände) in den Wintermonaten nicht zu benutzen, weil der zugehörige Wasserstrang bei Frost abgestellt werden muß, d.h. die tägliche Körperpflege und das Waschen der Leibwäsche findet während dieser Zeit in der Küche statt.

Ich bitte daher um die Unterstützung bei der Beschaffung einer Neubauwohnung (4 Zimmer mind.), wenn möglich in Halle-Neustadt, um meiner Familie ein befriedigendes Wohnniveau und Familienleben zu ermöglichen.

Hochachtungsvoll
[Unterschrift]


[geschwärzt]
Bereich Wissenschaft und Technik

Halle,
TR-Lh/091/Ko
Journ.-Nr.

M i t t e i l u n g

Generaldirektor
Genossen Oertelt

im H a u s e

Antrag des [geschwärzt] betreffs Unterstützung bei der Beschaffung geeigneten Wohnraums

Die geschilderten Wohnverhältnisse des Genossen [geschwärzt] sind objektiv und realistisch dargestellt (siehe beiliegende Skizze).

Die bestehenden Wohnbedingungen und die bisher erfolglos gebliebenen Bemühungen der Veränderung stehen im Widerspruch zur Verordnung der Verbesserung der Lebenslage von Familien von 4 und mehr Kindern vom 3. Mai 1967.
Das an den Betrieb gerichtete Ersuchen um Hilfe bei der Beschaffung geeigneten Wohnraums sollte im Sinne des Beschlusses des Ministerrats – Beschluß über die Richtlinie zur Gewährung von Unterstützungen und Zuwendungen für Familien mit 4 und mehr Kindern vom 22. November 1973, Abschn. III – Schwarzdruck Nr. 21/73 – volle Unterstützung finden.

Genosse [geschwärzt] ist ein pflichtbewußter, bescheidener und zuverlässiger Mitarbeiter.
Die Klärung seiner gegenwärtigen Wohnverhältnisse dürfte nach meiner Auffassung sehr zur weiteren Ausprägung seines Persönlichkeitsbildes beitragen und seine Leistungsbereitschaft weiter anspornen.

[Unterschrift]
Wagner
Direktor für Wissenschaft und Technik

Interpretationsvorschläge

Der Antrag zeigt aus einer individuellen Perspektive das Leben in einem Altbau in der DDR der 1970er Jahre. Die Rettung der Altbausubstanz wurde in der DDR zugunsten der Neubauten vernachlässigt. Das hatte verschiedenen Gründe: Zum einen waren die Altbauten aus Sicht der SED Zeichen einer vergangenen Zeit, von der man sich abgrenzen wollte. Vor allem die repräsentativen Gründerzeithäuser waren Ausdruck einer Epoche, in der Arbeiter:innen  ausgebeutet wurden und machtlos waren. Die DDR dagegen verstand sich als Arbeiter- und Bauernstaat, der allen Bürger:innen angemessenen Wohnraum bieten wollte. Zum anderen boten Plattenbauten eine kostengünstige Möglichkeit, schnell neuen Wohnraum zu schaffen.

Von einer Neubauwohnung versprach sich die Familie, die den Antrag stellte, ein „befriedigendes Wohnniveau“.

Der Antrag kann auch als Eingabe interpretiert werden. DDR-Bürger:innen hatten über Eingaben die Möglichkeit, ihrem persönlichen Unmut Ausdruck zu verleihen. Die zuständigen Behörden mussten dann in einer festgelegten Frist auf die Anliegen reagieren. In zahlreichen Fällen konnten die vorgetragenen Probleme auch gelöst werden. Meist beschrifteten die DDR-Bürger:innen ihre Anliegen mit dem Begriff „Eingabe“; im vorliegenden Beispiel wurde das Problem jedoch als Antrag formuliert.

Der Antrag des Familienvaters H. erhielt Unterstützung durch seinen Vorgesetzten. Dies belegt ein weiteres Schreiben vom 22. Oktober 1975. Die maschinengeschriebene Erklärung wurde an die Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Bau- und Grobkeramik, Bereich Wissenschaft und Technik gesandt. Unterschrieben wurde es vom Direktor. Familienvater H. wird in diesem Schreiben als „pflichtbewusster, bescheidener und zuverlässiger Mitarbeiter“ beschrieben. Das zeigt, dass auch in der DDR persönliche Netzwerke durchaus dienlich sein konnten, um individuelle Interessen durchzusetzen.

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