Mittlerweile wird die Phase rechter Gewalt vor und vor allem nach 1989/90 intensiv untersucht. Im kulturellen Gedächtnis und öffentlichen Diskurs ist sie vor allem durch wenige Ortsnamen symbolisiert: Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen. Anders als diese Ortsnamen suggerieren, beschränkte sich die Gewalt aber nicht auf wenige Orte. Ein Charakteristikum rechter Gewalt in der Vereinigungsgesellschaft war gerade ihre räumliche wie zeitliche Entgrenzung, ihre Alltäglichkeit und Omnipräsenz, aber auch ihre Vielgestaltigkeit und Vielschichtigkeit. Angriffe und Anschläge richteten sich gegen verschiedene Gruppen; die Gewalt war rassistisch, antisemitisch, antiziganistisch, antislawisch, sexistisch und homophob; sie traf aber auch politische Gegner:innen. Rechte Gewalt trat im Kontext von Mauerfall und Vereinigung auf, hatte in Ost- wie Westdeutschland eine Vorgeschichte. Sie prägte nicht nur die erste Hälfte der 1990er Jahre, sondern zieht sich bis in die Gegenwart.
Schon rund um den 3. Oktober 1990 hatte es deutschlandweit rechte Gewaltereignisse gegeben; die Vereinigung motivierte eine Welle nationalistischer Ressentiments gegen als nicht-deutsch stigmatisierte Personengruppen. Amadeu Antonio gehörte in Eberswalde zu der rund 100 Personen umfassenden Gruppe angolanischer Werktätiger, die in den späten 1980er Jahren für die Arbeit im nahegelegenen Fleischkombinat angeworben worden waren. Nach 1989/90 blieb kaum ein Dutzend von ihnen in der Stadt; vor allem diejenigen, die vor Ort Familien gegründet hatten. Amadeu Antonio wurde Ende November 1990 von einer Gruppe Skinheads durch Tritte lebensgefährlich verletzt. Am 6. Dezember erlag er im Krankenhaus seinen Verletzungen. Er hinterließ seine schwangere deutsche Freundin.
Sowohl der erste als auch der zweite Dokumentarfilm von Thomas Balzer zeigen eindrücklich, dass rassistische Gewalt im ostdeutschen Umbruch nicht punktuell und vereinzelt erfolgte, sondern das Leben der betroffenen Gruppen dauerhaft prägte. Gefahrenzonen blieben über Jahre hinweg bestehen, Schutzräume waren stets prekär und gefährdet, wurden angegriffen und gelegentlich zerstört. Dafür ist der Afrikanische Kulturverein Palanca e.V. ein gutes Beispiel. Er wurde 1994 als Reaktion auf die Tötung Amadeu Antonios gegründet – einige hätten sich, so steht auf der Internetseite zu lesen, mit der Situation von Angst und Rückzug nicht abfinden wollen: „und so entstand die Idee, einen afrikanischen Verein zu gründen – als Vermittler zwischen den Kulturen“. Seither dienen die Vereinsräume am Rande der Stadt als Rückzugsort, als Raum des Austausches, der Kulturarbeit, der antirassistischen Vernetzung sowie des migrationspolitischen Engagements; kurzum: als ein safe space. Heute widmet sich der Verein der Asyl- und Migrationspolitik in einem weiteren Sinne. Das Palanca ist aber auch ein wichtiger Akteur mit Blick auf den stadtgesellschaftlichen Umgang mit dem Tod von Amadeu Antonio: ob es um die Umbenennung der Straße geht, auf der Amadeu Antonio getötet wurde, oder um die Gedenkveranstaltungen zu den Jahrestagen.
Die prekäre Lage der betroffenen Gruppen wird unter anderem dadurch deutlich, dass ihre Vereinsräume immer wieder – so auch 2001 – in Brand gesetzt wurden. Die Räume, die sie sich in der ostdeutschen Umbruchsgesellschaft schufen, waren wohl auch gefährdeter als in Westdeutschland, wo migrationspolitisches Engagement spätestens seit den 1980er Jahren zu einer größeren Vernetzung und Etablierung migrantischer Räume geführt hatte. Die ausgebrannten Räume weisen zugleich auf die Bedeutung migrantischer safe spaces; im Bewusstsein der nicht-betroffenen Bevölkerung spielen sie indes kaum eine Rolle. Dass sie entstehen konnten und bis heute existieren, weist schließlich auf das Engagement und den Mut migrantischer Communities – also auf ihre „Agency“ –, auch unter besonders prekären Umständen eigene Räume zu schaffen und zu behaupten.
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