„Und ich war alleine zu Hause“: Interview mit Esther B. (Pseudonym)

Bildung

Exponatentyp
Audio, Zeitzeug:innen-Interview
Datum
22.02.2020
Dauer
02:41 min

„Und ich war alleine zu Hause“: Interview mit Esther B. (Pseudonym)

Bildung

Das Interview ist Teil eines größeren Oral-History-Projekts. Dieses dokumentiert persönliche Erfahrungen in der Zeit gesellschaftlicher Transformation nach 1989. Esther B.s Erzählung gibt Einblick in die oft übersehenen kindlichen Perspektiven auf die Nachwendezeit. Es macht deutlich, wie politische Umbrüche auch familiäre Beziehungen prägen.

Ein Mädchen bei seiner Schuleinführung; neben ihr steht eine erwachsene Person und hält die Zuckertüte.

Esther B. (Pseudonym), geb. 1983 im Bezirk Gera, DDR

Allgemeine Informationen

Titel: Interview mit Esther B. (Pseudonym)

Medienart: Zeitzeugen-Interview

Interview: Dr. Patrice Poutrus

Jahr: 2020

Gesamtänge: 02:41:18 h

Besitzende Einrichtung: Oral-History-Forschungsstelle an der Universität Erfurt

Empfohlene Zitierweise: Interview mit Esther B. (Pseudonym), 22.10.2020. Abgerufen unter: https://dut-ausstellung.de/source/interview-mit-esther-b-pseudonym-geb-1983-im-bezirk-gera-ddr/.

Quelle in der digitalen Sammlung der Thulb

Gesamtes Interview auf Oral-History.Digital (Anmeldung erforderlich)

Transkript

Esther B. [E.B.]: „Und ich war halt immer das Schlüsselkind eigentlich. Meine Eltern waren arbeiten lange. Das ist auch so etwas, was ich im Nachhinein so… Ich denke, das würde man heute so gar nicht mehr machen. Meine Mutter hat bis um vier Uhr gearbeitet, dann ist sie in den Kindergarten gegangen, hat meinen Bruder abgeholt und im Sommer ist sie mit ihm dann noch auf den Spielplatz gegangen. Und ich war alleine zu Hause. Ich war die ganze Zeit alleine. Also in meiner Erinnerung war ich die ganze Grundschulzeit immer alleine zu Hause oder bei meiner Freundin Irene.“

Patrice Poutrus [P.P.]: „In den Schulhort sind Sie da nicht gegangen?“

E.B.: „Am Anfang schon, aber dadurch, dass da nur noch drei Kinder dann waren, habe ich dann gesagt, ich will das nicht mehr. Es waren auch nicht meine Freunde. Da habe ich mich nur noch mehr gelangweilt. Dann war ich wenigstens zu Hause, konnte ich zu Irene gehen. Ich habe mir auch selber mein Essen gemacht. Also irgendwelches… Nach der Wende dann… Irgendwelche Tütensuppen und es hat mir auch niemand was gekocht, was ich mir hätte warm machen können oder ich hab Brot gegessen oder ich weiß auch nicht. Also ich war da immer alleine und immer auf mich gestellt eigentlich. Und da hat sich irgendwie keiner so richtig Gedanken gemacht, was ich da eigentlich so mache den ganzen Tag oder so. Von daher ist es so gut, dass ich da eben eine gute Freundin hatte aus gutem Hause, sage ich mal. Das hätte auch anders laufen können.“

Interpretationsvorschläge

Esther B. ist zum Mauerfall sechs Jahre alt. Den Umbruch erlebt sie nur am Rande. Im Mittelpunkt ihrer Erinnerungen stehen Momente der Einsamkeit während ihrer Kindheit und Jugend. Ihre Eltern sind stark mit ihrer beruflichen Neuorientierung nach dem Ende der DDR beschäftigt. Sie selbst bleibt dabei oft allein zuhause. In einem narrativen Interview blickt Esther B. auf diese Zeit zurück. Sie beschreibt Veränderungen von familiärer Nähe und emotionaler Geborgenheit in den Jahren nach der Wiedervereinigung.

Weitere Ausstellungskategorien

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Quellenkritik

Die Quelle ist ein Auszug aus einem narrativen, biographisch angelegten Interview, das Dr. Patrice Poutrus von Februar 2020 bis in den Herbst 2022 mit Esther B. führte. Insgesamt realisierte er 39 Interviews im Teilprojekt „DDR-Lebenserinnerungen“ und 43 weitere im Teilprojekt „DDR-Familienerinnerungen“.

Geleitet wurden die Interviews von folgenden Forschungsfragen: Aus welchen konkreten Erfahrungen der späten DDR und Transformationszeit speisen sich gegenwärtige Erinnerungen? Wie werden diese ausgedrückt und überliefert? Wie passen diese Erinnerungen zu den vielen öffentlichen Darstellungen der DDR? Helfen diese Darstellungen dabei, sich ein genaues Bild von der Geschichte zu machen – oder verhindern sie eher eine umfassende historische Urteilsbildung?