Stasi: „Sondershausen, der Elfte Achte 1988. Befragung des Verdächtigen Walter. Gut. Ich sagte ja, dass sie zu einer Befragung hier sind. Wir befragen Sie auf der Grundlage Paragraf 95 der Strafprozessordnung zur Überprüfung des Verdachts des Vorliegens einer Straftat. Straftat gegen die öffentliche Ordnung der DDR. Hängt selbstverständlich mit ihren Aktivitäten die Übersiedlung durchsetzen zu wollen zusammen“ [Störgeräusch]
[Schnitt]
Stasi: „Gut, genügt erstmal. [Schnitt] [Telefon klingelt] Es klingelt ja schon wieder. Ja, bitte? [Weibliche Stimme am anderen Ende zu hören] Ihr Mann? Na wenn ich den so einfach kriegen würde wäre das kein Problem, aber ich bin auch nur Gast hier im Haus. Das kann ich Ihnen nicht sagen, dass weiß ich nicht. Das kann durchaus sein.“
Walter: [Spricht hinein] „Das ist bestimmt meine Frau!“
Stasi: „Probieren Sie es mal auf einer anderen Nummer.“
Walter: „Kerstin, ich bin da.“
[Schnitt]
Stasi: „Und weil Sie das immer interessiert. Ist gut, stecken Sie es wieder ein und können sich auch wieder hinsetzen.“ [Schnitt]
Stasi: „Herr Walter, ich hab es ja kurz umrissen, um was es sich handelt. Oder Sie wissen lassen. Dass es hier um die Prüfung des Sachverhaltes geht, die eine Straftat darstellen könnte.“
[Schnitt]
Walter: „Ich weiß nicht um es sich handelt.“
[Schnitt]
Walter: „Selbstverständlich ist in den Briefen immer mehr Schärfe. Das ist ja ganz normal nach zweieinhalb Jahren. Sie dürfen ja nicht vergessen wieviele solche Vorführungen oder Zuführungen und Gespräche im Betrieb – Auseinandersetzungen und so weiter – auf mich und meine Familie eingeströmt sind in den zweieinhalb Jahren. Das ist ja nicht so, dass man sagt, da ist ein Antragssteller, der ist ein böser Bube und der hat vielleicht auch noch lange Haare und das ist ein Staatsfeind und wie das eben immer so von Leuten, die den Einblick nicht haben in diese ganze Angelegenheit, abgetan werden. Wissen Sie ich bin-. Ich habe auch meine Entwicklung hier gemacht. Ganz normal. Ich bin nie straffällig geworden. Möchte das auch nicht. Ich bin ein guter Erdenbürger gewesen.“
[Schnitt]
Stasi2: „Ach, ich brauch‘ mir dabei doch nichts zu überlegen. Ich wiederhole doch nur das was die da gesagt haben. Mir ist das von der Sache her [Motorengeräusche] ist mir das doch vollkommen egal. [Ausdrücken einer weiteren Zigarette] Ich meine mir.
[Schnitt]
Naja, aber zum Beispiel gibt es, das ist ja aus dem Schreiben ersichtlich, eine Gemeinschaft Gleichgesinnter hier, um das mal ganz gelinde auszudrücken. Ne?“
Walter: „Ist richtig, ja.
[Schnitt]
Heutzutage wird das irgendwie ganz anders gesehen. Meinen Sie mir fällt das leicht? Mein Stückchen, mein Hier, aufzugeben? Aber ich will hier weg.“
Stasi2: „Na, Sie werden schon ihre Gründe haben.“
Walter: „Sehen Sie.“
Stasi2: „Aber wie gesagt. Es muss ja auch ein bisschen nach Recht und Gesetz zugehen.“
Walter: „Natürlich.“
Stasi2: „Und dafür sind wir da.“
Walter: [wird lauter] „Ich hab‘ doch nichts dagegen! [Stasi2 redet im Hintergrund weiter] Ich hab doch nichts gegen den sozialistischen Staat! Nichts gegen Sie! Sie können Ihre Arbeit tun. Sie können sonst etwas machen. Nur lassen Sie doch auch den anderen die Luft zum Atmen.“
[Schnitt]
Stasi: [Aufnahme vom Anzünden einer Zigarette mit Streichholz und Inhalieren] „Die Briefe nannten Sie, Herr Walter, die Briefe nannten Sie als erstes. Wir stellen es mal hinten an. Ferner nannten Sie die Freundschaft unter Gleichgesinnten. Als Aktivität wohlgemerkt.“
[Schnitt]
Walter: „Das kann doch keine Aktivität sein, wenn ich sagen wir mal, zu meinen Freunden gehe. Das kann doch keine Aktivität sein zur Erwirkung meiner Übersiedlung. Also das funktioniert doch wirklich nicht. Ich weiß doch. Da bleiben wir doch dabei. Sie sehen das anders.“
Stasi: „Wir sprechen wahrscheinlich jetzt eher von zwei verschiedenen Sachen. Wenn Sie mit, was weiß ich, mit denen ein Bier trinken, oder sonst was tun, dann interessiert sich wahrscheinlich keine Sau dafür. Wenn Sie sich aber mit ebenfalls Ersuchenden auf Übersiedlung treffen, um sich mit denen zu beraten, auszutauschen, abzustimmen, oder sonstwas, dann erscheint das natürlich schon wieder unter anderem Licht. Ja?“
Walter: „Ist richtig.“
[Schnitt]
Stasi: „Wer sind denn die Leute?“
Walter: „Das wissen Sie ja. Sie wissen das doch alles. Warum wollen Sie das von mir noch einmal hören? Wollen Sie das dann verwenden? Da müssen sie mich auch einmal aufklären. Nee, ne? Wenn ich das jetzt so sage, irgendwie, dass ich mit den Leuten, dass ich die kenne. Verwenden Sie das dann? Als, wie eine Schuld ähm ähm- zuweisung. Dass ich die jetzt genannt habe. ,Ja, die sind mit dabei.‘ Oder ich weiß nicht was Sie-.“
Stasi: „Ich bin verpflichtet Sie-.“
Walter: „Ich weiß ja auch nicht wo sie hinauswollen.“
Stasi: „Ich bin verpflichtet Sie zur Klärung eines Sachverhaltes zu befragen.“
Walter: [genervt] „hm (bejahend)“
Stasi: „Und zum Befragen gehört es dazu, dass man Fragen stellt.“
Walter: „Naja, ist ja ganz wichtig, dass das dann von Ihnen dann auch richtig interpretiert wird.“
Stasi: „Und die Befragung dient zur Klärung eines Sachverhaltes und der Sachverhalt kann nur geklärt werden, wenn Sie auf die Fragen antworten.“
Walter: „Naja, ich kann Ihnen ja auch sagen-.“
Stasi: „Nicht irgendwelche Antworten finden, sondern ein bisschen die Wahrheit jetzt.“
Walter: „Sie wissen doch selber, dass ich zum ersten Mai schon einmal hier saßen, den ganzen Tag.
[Schnitt]
Ich denke Sie arbeiten alle zusammen? Ich kann Ihnen selbstverständlich die Namen sagen, aber ich habe immer so ein bisschen Schiss. Ich misstraue den Behörden, generell. Verstehen Sie das? Auch Ihnen.“
Stasi: „Ja, klar.“
Walter: „Ich glaube zum Beispiel nicht, dass Sie es ehrlich meinen mit mir.“
Stasi: [lacht] „Das nehme ich Ihnen auch nicht weiter übel.“
Walter: „Ja, sehen Sie.“
Stasi: „Denn ich misstraue Ihnen ja mindestens genauso.“
[Schnitt]
Walter: „Ich war einmal in Berlin zum ganz normalen Gottesdienst und einmal war ich in Berlin, was war da für ein Thema? ,Frieden‘, ,Umgang miteinander‘, ,Menschlichkeit‘, vielleicht so in der Richtung.“
Stasi: „hm (bejahend) Wieso sind Sie da extra nach Berlin? Extra dahin? Sind Sie extra deshalb nach Berlin gefahren?“
Walter: „Tja, es ist unsere Hauptstadt. Ist vielleicht manchmal alles ein bisschen interessanter als in der Provinz.“
Stasi: „Ja, das ist richtig. Und das Berlin die Hauptstadt ist, da verraten Sie mir auch nichts Neues.“
[Schnitt]
Stasi: „Na gut, zweimal Berlin. Was noch? Was haben Sie sonst noch für Veranstaltungen besucht? Und gerade in letzter Zeit war ja (unv.)-. Und die Kirchentage waren hier und dort.“
Walter: „Ja Kirchentag, natürlich war ich zum Kirchentag. In Erfurt.“
Stasi: „Hm.“
Walter: „Zum evangelischen Kirchentag.“ [hustet]
Stasi: „Ja?“
Walter: „Hm.“
Stasi: „Was macht ein Katholik bei den Evangelisten?“
Walter: [zieht an Zigarette] „Hm. Die Protestanten sind ein bisschen reformierter, ne? Deswegen ja auch. Geht alles ein bisschen lockerer zu. Das interessiert mich als Christ. Vor allem die Gemeinschaft, die dort zusammen ist, ist für mich beeindruckend. Vielleicht waren Sie schon mal auf dem Domplatz, wenn dort Zwanzig oder Dreißigtausend Menschen stehen.“
Stasi: „Und sind Sie da überall alleine hin?“
Walter: „Bitte?“
Stasi: „Sind Sie da überall hin gegangen, oder in Begleitung anderer?“
Walter: „Dafür hatten wir uns zusammengetan. Ja.“
Stasi: „Und wer ist denn da mitgekommen?“
Walter: „Fahrgemeinschaften. [lauter] Fahrgemeinschaften.“
Stasi: „Naja, wer da mit?“
Walter: „Im Prinzip diejenigen Leute um die es sich immer wieder dreht. Die Sie vorhin schon aufgeschrieben haben die Namen.“
Stasi: „Ja, sind das alles so, ist nicht beleidigend gemeint, sind das alles so fromme Kirchengänger?“
Walter: „Tja, wissen Sie, das dürfen Sie mich nicht fragen. Ich habe da eine persönliche Meinung, aber die werde ich Ihnen sagen.“
Stasi: „Nu, aber warum wollen Sie mir die persönliche Meinung nicht sagen?“
Walter: „Das ist eine persönliche Angelegenheit von mir.“
Stasi: „Es gibt sicherlich immer welche den Schutz hinter der Kirche oder in der Kirche suchen.“
Walter: „hm (bejahend)“
Stasi: „Ja. Und sicherlich sind da auch welche dabei. Ja? Das ist sicherlich auch Ihre persönliche Meinung.“
Walter: „Das kann ich nicht bestätigen.“
Stasi: „Nee, das brauchen Sie auch nicht bestätigen.“
[Schnitt, Wechsel zu Aufnahme 2]
Stasi2: [lacht] [lauter] „Naja, also wissen Sie was nehmen Sie es mir nicht übel, aber langsam komme ich zu der Überzeugung, dass es mit ihrer Intelligenz doch nicht weit her ist.“
[Schnitt]
Walter: [Spricht hinein] „Sagen Sie mir doch was Sie wollen!“
Stasi2: [laut] „Ach, was heißt denn sagen Sie mir was sie wollen. Wir sagen überhaupt nicht was wir wollen. Wenn Sie das nicht begreifen, tut uns das Leid. Das müssen Sie doch am besten wissen. Sie sind doch derjenige, der hier den ganzen Mist provoziert hat mit.“
[Schnitt]
Walter: „Das ist Ihre Meinung.“
Stasi2: „Nee, das ist nicht meine Meinung. Ich gehe-. Meine Meinung begründet sich bestimmt auf ein paar objektiven Fakten. Ne? Nur daraus kann man ja irgendwie zum Ergebnis kommen. Ne?“
Walter: „Ich weiß ja nicht zu welchem Ergebnis Sie kommen wollen.“
Stasi2: „Was heißt denn jetzt zu welchem Ergebnis wir kommen wollen? Wir gehen davon aus-.“
Walter: „Sie machen doch eine Untersuchung, oder eine Befragung, zur Klärung eines Sachverhaltes da ein-.“
Stasi2: „Ja, aber-. Hier-.“
Walter: „Sie müssen dann doch wissen wo Sie hinwollen. Ich mein, ich weiß es doch nicht.“
Stasi2: „Na klar wissen wir wo wir hinwollen.“
Walter: „Nor (bejahend) Und da-.“
Stasi2: „Sie sind doch nicht nur alleine hier zu geführt worden zu einer Befragung? Oder zur Klärung eines Sachverhaltes.“
Walter: „Hm (bejahend)“
[Schnitt]
Stasi2: „Sind doch alle da. Naja und da ich nun das das Glück habe von Zimmer zu Zimmer gehen zu können. Ja? Und mit jedem auch ein paar Worte wechseln zu können. Da müssen Sie mir doch gestatten, dass ich mir aus dem gesamten bisherigen Ergebnis der Befragungen ein Bild machen kann.“
Walter: „Das stimmt.“
Stasi2: „Na sehen Sie. Und so einfach ist das. Und da kommt man doch zu irgendeiner Erkenntnis. Ist doch logisch. Dann sind wir uns wenigstens darüber einig. Und wenn nun gesagt wird, dass nun gesagt wird [Motorengeräusche im Hintergrund] von dem Herrn Walter, in die Rütte gebracht worden sind. Dass der Herr Walter, mehr oder weniger, die Initiativen-.“
Walter: „Der Federführende.“
Stasi2: „Die Initiativen immer wiederum ergreift. Dass das zwar im vollen Umfange mit der Meinung der anderen und auch mit der Zielstellung der anderen übereinstimmt. Ist doch logisch, oder?“
Walter: „Hm (bejahend) Bloß ich bin ein bisschen misstrauisch. Ich nehme an, dass sagen Sie den anderen auch. Und zählen dann meinen Namen auf. Ich weiß es nicht, aber-. Entschuldigen Sie bitte, dass ich das so mal sage.“
Stasi2: [spricht hinein] [lacht] „Na das werden Sie noch. Ach, das ist doch Quatsch.“
Stasi: „Der alte Polizeitrick.“
Stasi2: „Was soll denn das? Es wäre doch ausgesprochener Quatsch. Sie wissen es doch selber am Besten.“
[Schnitt]
Walter: „Keiner! Sehen Sie! Ich bin wieder da. Ich bin wieder an dem Punkt. Und Sie sind auch wieder nur bloß mit irgendeiner Angelegenheit da, die Sie nachprüfen.“
Stasi2: „Wir haben keine Gewalt über dieses Problem.“
Walter: „Man kann doch das nicht aus der Welt schaffen?“
Stasi2: „Hören Sie mal zu! Wir schaffen das aus der Welt [lacht] in dem wir hier erst mal die ganzen Dinge klären. So! Und Sie gehen nicht ab von ihrer Rede. Naja, na und? Dann müssen Sie doch mit irgendwelchen Konsequenzen müssen Sie doch früher oder später mal rechnen?“
Walter: „Nein.“
[Schnitt]
Walter: „Warum ist das jetzt wichtig? Entscheidend ist doch der Fakt und ähm die Leistung der Namen, die da drunter gesetzt worden sind, also die Bereitschaft dazu zu stehen. Das ist im Prinzip alles.“
Stasi: „Ja. Was wichtig ist und was unwichtig ist. Also was wesentlich und was unwesentlich ist, das müssen Sie uns überlassen.“
Stasi2: „Haben Sie sich schon mal ein paar Gedanken darüber gemacht, wie das hier ausgehen soll?“
Walter: „Ich habe es Ihnen vorhin gesagt. Für Sie gibt es jede Möglichkeit.“
Stasi2: „Und haben Sie schon mal in Erwägung gezogen, was vielleicht das günstigere wäre? Für Sie jetzt und für Ihr Anliegen?“
Walter: „Es gibt kein Günstiges. [hustet] Es gibt auch kein Ungünstiges. Das ist der Sachverhalt. Und die Entwicklung ist zwangsläufig mit unserer Antragsstellung. Bis zum heutigen Tag war eigentlich alles abzusehen. Auch der Tag heute. Im Prinzip habe ich da schon gewartet.“
[Schnitt]
Stasi2: „Sie reden immer von zwei Alternativen. Sie reden entweder Sie sperren mich ein, oder Sie geben mir die Ausreise. Das zweite trifft nicht zu.“
Walter: „hm (bejahend)“
[Schnitt]
Stasi2: „Also müssen Sie sich doch auch mit der ersten, also mit dem Einsperren, genauso abfinden, wie mit dem zweiten.“
Walter: „Ja, dann müssen Sie es tun. Ich habe es ja gesagt.“
Stasi2: „Naja, das werden wir wahrscheinlich auch tun!“
Walter: „Ja? Dann brauchen Sie doch nicht mehr so lange. Dann müssen Sie mir einen konkreten Tatbestand vorwerfen. Und dann hat sich die ganze Angelegenheit.“
Stasi2: [spricht hinein] „Vorwerfen brauchen wir Ihnen den nicht.“
Walter: „Oder nachweisen.“
Stasi2: „Na den Nachweise haben wir ja.“
[Schnitt]
Walter: „Geben Sie mir doch mal eine logische Erklärung dafür warum man mich hier behalten will! Warum? [lauter] Und bis zur Endkonsequenz meinetwegen sogar knüppeln will? Was ist das für eine Gesellschaft?“
Stasi: „Weil Sie nur der Staat aus der Staatsbürgerschaft entlassen kann.“
Walter: „Ja! Warum tut er das nicht?“
Stasi: „Sie selbst können darum nicht ersuchen. Oder sie selbst können nicht-.“
Walter: „Ja, warum fehlt dieser Passus?“
Stasi: „Passen Sie auf. Und das macht der Staat eben nicht.“
Walter: „Warum fehlt der? Warum fehlt der bei uns in der DDR? Warum? Ich denke wir sind das aus der Geschichte her, die höchste Gesellschaftsform, beziehungsweise kurz vorm Abschluss. Ich meine da muss doch die Gesellschaft und auch Vollzugsorgane und was nicht alles, was es da alles gibt. Die müssten sich doch ganz wohl. Und das müsste doch zum Wohle der Menschheit sein. Und die paar das ist ja klar. Es gibt immer ein paar die ausweichen, die könnte man doch gehen lassen. Die muss man doch nicht zwingen.“
Stasi: „Also eine Diktatur, ja, die beinhaltet immer auf einer bestimmten Ebene Zwang.“
Walter: „Eben.“