„Tabus“ und „Angst“ in der fremden Gesellschaft (Min. 00:00)
Emilio F.: „Das andere Problem war, dass wir nicht nur in einem fremden Land waren, sondern auch in einer fremden Gesellschaft. Eine Gesellschaft mit einer ganz [anderen] ökonomischen und politischen Struktur. Und wir wussten eigentlich nicht genau, wie wir uns da zu verhalten haben. Von unserer Seite waren [da] auch eine ganze Menge von Tabus gegenüber der DDR. Und wir haben uns, oder am Ende stimmt, ich habe mich nicht getraut, manchmal laut zu sagen, was ich eigentlich gedacht habe, weil irgendwie hatte ich Angst… Aber das waren die ersten Monate. In Leipzig haben wir, sagen wir, ein Studentenleben geführt, haben wir die Sprache gelernt, dann kam ich hier nach Berlin.
Und eigentlich in Berlin haben schon angefangen die eigentlichen Probleme des Exils. Da war das Studium. Das war unsere Aufgabe. Aber wegen dieser ganzen Situation, vor allem für mich, war das Studium sehr schwer. Ich meine nicht, weil das Studium an sich schwer war, sondern, weil irgendwie uns das Studium …, ich war nicht ganz zufrieden, was mir dieses Studium anbot.“
„Eine sehr große Krise“ (Min. 01:24)
„Und die andere Seite: Ich war auch in eine sehr große Krise geraten. Und das aus der Exil-Situation heraus, weil: Ich war sehr allein, ich war nur auf mich angewiesen, und die Möglichkeiten der Kommunikation mit der äußeren Welt waren sehr gering. Demzufolge, die einzige Möglichkeit, die ich hatte, war praktisch [mich] in mich selbst einzuschließen und, sagen wir, zu versuchen nach innen zu leben. Für die äußere Welt war ich irgendwie nicht da, sie existierte nicht, ich existierte eigentlich nur für mich. Diese Jahre, wenn ich heute also in die Vergangenheit zurückblicke: Es waren sehr traurige Jahre, mit sehr vielen Problemen, mit sehr viel Angst. [Das war die] eine Seite. Aber die andere Seite, es waren auch sehr reiche Jahre. In dem Zusammenhang meine ich, dass ich mehr oder weniger die Möglichkeit hatte, zu mir selbst ein bisschen näher zu kommen.
Probleme „politischer Natur“ (Min. 02:39)
„Ich muss auch sagen, dass ich in dem Studium der Ökonomie auch sehr viele Probleme hatte, nicht nur wegen dieser Situation, nicht nur, weil ich mich allein fühlte. Auch hatte ich Probleme, sagen wir, mehr oder weniger politischer Natur. Als ich mit dem Studium fertig war, sollte ich nach Jena zurückkehren. Aber ich hatte schon hier in Berlin fünf oder sechs Jahre gelebt. Ich hatte alle meine Freunde, meine Bekannten hier, ich hatte meinen Kreis, und ich wollte nicht nach Jena. Und ich habe mich dagegen gewehrt. Die Folge davon war, dass ich von den offiziellen Organen der DDR ganz losgelöst wurde. Und das hat für mich bedeutet, dass ich zwei Jahre ohne Arbeit war, ohne Wohnung. Ich hatte alle meine Sachen bei Freunden. Meine Bücher hatte ich bei drei verschiedenen Wohnungen. Zwei Jahre [lang] hatte ich die Bücher verpackt, also habe ich die Bücher nicht mehr gesehen. In dieser Zeit habe ich auch meine Frau kennengelernt.“