Eine „Oase“ im Realsozialismus – individuelle Orte der Kreativität

Kultur

Exponatentyp
Video, Zeitzeug:innen-Interview
Datum
2025
Dauer
26:20 min

Eine „Oase“ im Realsozialismus – individuelle Orte der Kreativität

Kultur

Ulla Walter (*1955 in Meiningen) gehört zur Generation der in die DDR ,Hineingeborenen‘. Aus der Provinz geht sie zunächst an die Hochschule für Bildende Künste Dresden. Von dort aus wechselt sie an die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, wo sie 1984 ihr Studium als Meisterschülerin von Bernhard Heisig beendet. Doch auch nach ihrem Wechsel nach Leipzig kämpft sie damit, sich von ihrem Professor zu emanzipieren.

Eine wichtige Zäsur ist für sie 1983 der Erwerb ihres Hauses in Schöneiche bei Berlin. In ihrer selbst geschaffenen „Oase“ kann sie sich von äußeren Zwängen lösen und ihre individuelle Freiheit und Kreativität mit Gleichgesinnten ausleben.

Der Umbruch 1989/90 ist für Ulla Walter von ambivalenten Erfahrungen geprägt. Neben der Euphorie über die neuen Freiheiten verspürt sie auch Ängste. Sie fürchtet den Verlust ihres Hauses und den Umgang mit Alteigentümer:innen.

Min. 02:50: Kunsthochschulen in Dresden und Leipzig
Min. 08:55: Eine Reise nach West-Berlin und ein „merkwürdiger Zufall“
Min. 12:03: Die Künstlergruppe Instabil
Min. 15:41: Der Mauerfall und seine Folgen
Min. 22:11: Neue Kunst in einer neuen Zeit

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Allgemeine Informationen

Titel: Kunst zur ,Wende‘-Zeit. Die Künstlerin Ulla Walter.

Medienart: Zeitzeuginnen-Interview, Video

Interview: Michaela Mai

Jahr: 2025

Gesamtlänge: 26:20 Minuten

Besitzende Institution: Lehrstuhl für Kunstgeschichte, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Empfohlene Zitierweise: Kunst zur ,Wende‘-Zeit. Die Künstlerin Ulla Walter. Interview, 2025. Abgerufen unter: https://dut-ausstellung.de/source/eine-oase-im-realsozialismus-individuelle-orte-der-kreativitaet/.

Video in der digitalen Sammlung der Thulb

Transkript

Ulla Walter: „Also solange ich denken kann, hab ich das Gefühl gehabt, dass ich Malerin werde. Aber ich wusste es noch nicht so konkret. Also ich würde sagen, vieles in meinem Leben ist mehr intuitiv entstanden – da ist… ich habe es gespürt.

Und dadurch, dass mein Vater eher so ein rationaler Mann war, der mich in die Richtung Mathematik bringen wollte, gab es mal einen kurzen Umweg. Ich bin aber eigentlich… seit der dritten Klasse dann ganz genau, weil mir dann Rembrandt vorgestellt wurde, da hab ich richtig gespürt, egal was passiert, sowas will ich, das ist mein Weg.

Und der kurze Abstecher, nach dem Abitur erst mal an der TU Dresden anzufangen, hing nur damit zusammen: Ich wollte weg aus meinem komischen Nest Meiningen, was ich damals als sehr hinterwäldlerisch empfunden habe. Und ich bin dann erst mal nach Dresden gegangen, um das als Sprungbrett zu nehmen. Ich hab dort an der TU angefangen, kann mich noch gut erinnern an den ersten Tag der Immatrikulation, wo ich fast geweint hätte und gedacht habe: Hier wirst du nicht alt.

Und dann hab ich mich exmatrikulieren lassen und hab Hilfsarbeiten gemacht. Also das hat das ja nochmal bestärkt. Ich hab nur diesen einen Weg. Da hab ich mich an der Kunsthochschule in Dresden beworben, aber auch deshalb, weil ich in Thüringen gar nicht wusste, dass es noch mehrere Kunsthochschulen gibt. Es gab eben für mich nur Dresden, und dort habe ich mich beworben, bin aber erst mal nicht angenommen worden.

Und da tat sich zum Glück in den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden eine Tätigkeit auf, dass ich dort Nachtwächterin war. Und das war – das kann man gar nicht in Worte fassen – es war märchenhaft. Ich hatte die Schlüssel für den gesamten Dresdner Zwinger und bin vor allem nachts dann auch allein durch diese ganzen Säle gegangen. Und dort hat sich das noch mal mehr bestärkt. Es hat sich aus welchem Grund auch immer nicht gleich gezeigt, aber Rembrandt wurde immer wichtiger. Und ich bin immer länger vor den Bildern von Rembrandt sitzen geblieben. Und da fing mein Studium ja eigentlich an, dass ich mich gefragt habe: Was hat der für ein Geheimnis? Der unterschied sich von den anderen Bildern, die natürlich auch irgendwo fantastisch sind. Aber ich habe gespürt, dass er so aus dem Inneren malt und dass man in die Seele seiner Figuren gucken kann.

Und da fing dieser ganze Zauber an.“

Kunsthochschulen in Dresden und Leipzig (Min. 02:50)

„In Dresden war, als ich dann angenommen wurde, das Pech: Zu der Zeit war die Schule hoch ideologisiert. Das war ganz furchtbar, das kann man sich gar nicht vorstellen.

Und ich hatte den Eindruck, ich werde dort kriminell, weil ich fühlte mich bedrängt und belästigt. Wir hatten zwei Stasi-Typen im Studienjahr und der Rektor damals war Fritz Eisler, also ein ganz, ganz unangenehmer Mensch.

Und da habe ich meinen Widerspruchsgeist, den ich sowieso in mir habe, wenn irgendwas nicht stimmt oder kaschiert wird, natürlich zur Geltung gebracht. Aber dieser eine Stasi-Mensch aus dem Studienjahr, der hat sich dann immer nach unserer Arbeit mit den Professoren zusammengesetzt. Und die haben wirklich unsere Bilder ausgewertet und das hat er einem aber sogar so mitgeteilt. Das war nicht heimlich, das war… Und der sagte dann sogar, ich hätte eine Untergrundgruppe gegründet. Also völliger Quatsch. Und da habe ich, ich kann mich noch erinnern, ich dachte, den schlag ich zusammen, obwohl ich eine kleine dünne Frau bin. Damals war ich allerdings nach meiner Küchenarbeit ein bisschen breiter und dachte, den schlage ich jetzt zusammen.

Und in dieser Ausweglosigkeit war damals die große Kunstausstellung der DDR. Da habe ich einfach als Studentin Führungen gemacht. Und da sah ich die Bilder von Bernhard Heisig. Ich kannte ihn überhaupt nicht, habe auch den Namen nie gehört. Ich bin immer häufiger dort gewesen und das war wieder eine kleine Parallele zu Rembrandt: Ich habe wieder empfunden, dass hier jemand so malt, wie ich fühle. Und da kam der Ausweg. Ich habe gemerkt, es geht. Es geht weiter.

Und dann habe ich in einer Nacht- und Nebelaktion dem Bernhard Heisig – ich habe erfahren, dass er Rektor in Leipzig ist – einen Brief geschrieben, dass ich gerne mit ihm sprechen möchte und mich vielleicht vorstellen, ob ich nicht die Hochschule wechseln kann.

Und diesen Tag werde ich natürlich auch nie vergessen. Ich habe mich damals krankschreiben lassen, damit die in Dresden das gar nicht mitbekommen, und komme dort ins Rektoratszimmer in Leipzig an der Leipziger Kunsthochschule – die ja eigentlich Hochschule für Grafik und Buchkunst heißt, da wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass es da Malerei gibt. Da bin ich jedenfalls in dem Rektoratszimmer und erzähle dem Heisig, wie es in Dresden ist.

Und er lacht und lacht und sagt: So ein Quatsch, was Sie mir erzählen, Sowjetsoldaten oder so… Und er hatte auch so einen offenen Blick und war so ein couragierter Mensch. Und da war auch gleich diese Sympathie. Und dann sagt er zu mir: Also an meiner Schule können Sie machen, was sie wollen, Sie müssen das auch gut machen.

Der Vergleich klingt ein bisschen pathetisch, aber das war wie Hölle und Himmel. Alles, was in Dresden nicht ging und sich völlig verhakt hatte, war plötzlich das ganze Gegenteil. Und aus dem Grund habe ich eben auch so sehr viel von Heisig überhaupt gelernt, auch als Persönlichkeit. Auch rhetorisch war der glänzend. Der konnte eben jemanden abklippern lassen. Nehmen wir mal so Stasi-Typen, die mit hölzerner Vorkehrung ankamen, und dann hat er denen klar gemacht, dass so gar nichts geht in der Kunst. Das hat er sich natürlich leisten können. Aber das sind alles Dinge, die ich nicht nur malerisch bei ihm gelernt habe. Und malerisch fand ich an ihm halt hauptsächlich sensationell seine Impulsivität und seinen Farbauftrag.

Dort ist mein Ansatz, weshalb ich bei Heisig dann sehr glücklich war zu studieren.

Auch wie er mit uns umgegangen ist. Meine Freundin und ich, wir sollten, also wir hatten einen Auftrag, den er uns sogar vermittelt hat. Und wir hatten uns ein bisschen gequält, weil Aufträge… Wir waren ja damals auch ein bisschen überschwänglich – ach, machen wir nicht – und arrogant vielleicht sogar. Und dann brachte er uns zwei Flaschen Weißwein, schloss die Tür ab und sagte: Morgen sind die Bilder fertig. Und allein pädagogisch so was Verrücktes zu machen! Ich kann mich erinnern, wie wir gemalt haben – wie die Teufel, die ganze Nacht. Und am nächsten Morgen waren die Bilder fertig und die hatten so einen Schub gekriegt, den sie niemals bekommen hätten, wenn wir da noch zwei Wochen vielleicht gepinselt hätten und es wäre langweilig geworden. Und auch das war wieder so ein Impuls, aus dem Moment heraus den Moment zu schüren.

Heisig war ein Despot irgendwo. Das muss man dann auch zugeben. In dem Moment, wo ich… Ich habe ihn ja lange angenommen, um von ihm zu lernen. Und mein wichtigstes Bild damals – „Cäsar in den Iden des März“ –, das hat schon Strukturen, den Bildaufbau, wie seine Bilder.

Und wenn wir diskutiert haben, zum Beispiel vor meinen Bildern, dachte ich immer, Heisig sieht das so, wie ich es sehe. Aber er wollte mich dann wieder zum Realismus im Porträt zum Beispiel zwingen. Und ich wollte aber immer mehr in die Abstraktion.

Und da weiß ich noch, einmal haben wir uns sehr gestritten. Aber na ja, das war ja jetzt eine Herausforderung, an der Schule zu bleiben. Da hab ich gedacht, dann bleib ich ein kleiner Heisig. Und ich hatte noch mit mir gehadert, hatte ihn – das war noch mal ein sehr entscheidender Moment – erpresst. Insofern, dass ich immer gemerkt habe, wenn westdeutsche Filmteams bei uns waren, oder… Ich hab das wie so eine Klammer um den Kopf empfunden, dass ich viele Originale überhaupt nicht kenne. Wir Ost-Leute hatten uns oft ertappen müssen, dass wir Dinge verteidigen, auch mit diesem sozialistischen Realismus – den haben wir so nicht verteidigt –, aber wir dachten, wir malen tolle Bilder. Aber wir haben ja die Welt nicht gesehen, nicht gekannt. Und das hat mich sehr beschäftigt.

Und da habe ich zu Bernhard Heisig gesagt – weil ich auch wusste, dass sein Sohn im Westen studiert hat, in der Schweiz, und er konnte ja auch, viele konnten ja immer wieder rüberfahren; und da habe ich gemerkt, ich halt das nicht mehr aus – und da habe ich zu ihm gesagt, ich denke darüber nach, einen Ausreiseantrag zu stellen, weil ich diese Klammer um meinen Kopf nicht mehr aushalte.

Dann war er erstmal sauer. Er kam dann wieder in mein Atelier am nächsten Tag, da hat er gesagt, er hat eine Idee. Und zwar wird er seine drei Meisterschüler mit dem Auto mit nach Westberlin nehmen.“

Eine Reise nach West-Berlin und ein „merkwürdiger Zufall“ (Min. 08:55)

„Da war damals die Ausstellung Zeitgeist. Das durften wir aber wieder im Reiseantrag nicht angeben, sondern er hat gesagt, wir wollen die Rembrandts in Dahlem besuchen. Und dann sind wir wirklich mit dem Auto rübergefahren und mussten aber hier übernachten, weil wir durften im Westen nicht übernachten. Das hing natürlich auch mit Geld zusammen und damit, dass wir uns nicht abwerben lassen.

Es war so, dass ich dachte, ich drehe vielleicht durch, wenn ich über die Grenze komme. Oder vielleicht ist da die Luft anders. Also man kann sich gar nicht vorstellen, wie wir letztendlich doch verschnürt waren im Gehirn. Und hätte man mich nur einmal einen Tag fahren lassen: Ich wäre im Westen geblieben. Und am zweiten Tag bin ich dann schon lockerer rangegangen und habe dort Erlebnisse gemacht, wo ich dann dachte, na ja, die kochen ja auch nur mit Wasser, oder war sauer, dass im KaDeWe 250 Käsesorten waren, während wir hier drei hatten oder so.

Da sind dann so kleine Momente entstanden – kuriose Momente, die mich aber auch noch mal überzeugt haben: Nee, das ist jetzt auch… Deine Art, selbstbewusst zu sein, funktioniert ja dann auch wieder nicht.

Und jedenfalls am zweiten Tag bin ich dann wieder zurückgekommen mit den anderen, wollte aber nicht mehr nach Leipzig. Da kommt ein ganz merkwürdiger Zufall ins Spiel: Ich war ja noch bei meiner Schwester hier [in Schöneiche] zu Gast. Und auf einmal – also dieser West-Besuch hat mich so irritiert, dass ich gemerkt habe, hier ist was passiert. Auf einmal wollte ich spazieren gehen, was ich nie machen wollte.

Und wir laufen hier die Straße entlang und stehen vor einer Ruine, wie ich es so noch nie gesehen habe. Und das klingt jetzt vielleicht mystisch, aber ich hab mich so angezogen gefühlt. Die war völlig vernagelt, sollte abgerissen werden, und wir öffnen dann die Tore und auf einmal stehen wir da und gucken in diesen Saal. Und in dem Moment habe ich wirklich gedacht: Das ist es. Das ist es. Um diesen Saal hab ich dann gekämpft.

Jedenfalls war das so, dass ich dachte, hier kann ich mir eine Oase errichten. Und es war immer das Haus, weshalb ich die DDR nicht verlassen habe. Und vielleicht sogar noch anders: Ich habe Spaß daran empfunden, das auszureizen, diesen Tanz auf dem Vulkan auszureizen.

Also manchmal waren hier 200 Leute oder so ähnlich und… Aber jedes Mal hat es ja einen Impuls gebracht, also das Haus war immer lebendig. Und das Lebendige ist ja wieder reflektiert auf die Arbeit. Und dadurch würde ich wirklich sagen, dass ich die gesellschaftliche Situation in ihren ganz kleinen Zwischentönen erfassen konnte, weil das ja dann intuitiv passiert ist.

Ich habe mich ja nicht da hingesetzt und habe das dann so gemalt, sondern dieser ganze Impuls, der aus einer verrückten Party kam oder auch aus diesem Fast-Verbot und Nicht-Verbot und Doch-Verbot. Das waren alles so Momente, die Metaphern eingeschleust haben in meine Bilder, die sicherlich abstrakt geblieben sind, aber ich kann sie heute noch lesen.“

Die Künstlergruppe Instabil (Min. 12:03)

„Ja, als es ja dann mal richtig losging, als ich bei der IX. Kunstausstellung war, da bekam ich schon das Gefühl, jetzt ist für mich der Startschuss gefallen. Jetzt werde ich auch als Künstlerin gesehen. Und das ist auch noch mal dieses Gefühl der Euphorie. Man kann wirksam werden, man wird gesehen und die Kunst spricht.

Und wir hatten halt kurz vorher…, da wussten wir ja noch nicht, dass die Mauer fällt, aber es gab schon wirklich auch viele Aussagen, dass die DDR tatsächlich finanziell am Ende ist. Und dieser Agonie des Staates, der wollten wir eben auch unseren Stempel aufdrücken, indem wir sagen, wir sind hier, wir sind an der Stelle die Beobachter und auch die Akteure, die Mitakteure. Und so ist die Gruppe Instabil entstanden, die nur zwei Jahre oder zweieinhalb Jahre funktioniert hat. Aber immerhin war Ost-Berlin mal mit unseren Plakaten plakatiert und ich denke gerne an die Zeiten. Hab da auch viel mitbekommen.

Und Instabil: Wir haben das natürlich instabilisieren wollen, aber es hat als Name, als Wortspiel eigentlich wunderbar gepasst. Und da wir aber nicht so politisch waren, sondern eigentlich Kunst gemacht haben, und einfach da zu sein ist ja auch Politik, wenn man selbstbewusst da ist, weil man weiß, wie man sich hier verhal.., nein, wie man sich selber in die Augen gucken kann – vielleicht so rum.

Und damit hatten wir schon wieder eine neue Freiheit, mit den Todeszuckungen des Staates umzugehen. Und das war auch wieder köstlich letztendlich. Aber mehr… Also ich finde es ist genauso politisch, wenn man den Staat so oder so unterwandert, halt nicht mit Parolen und nicht mit der Gefahr, gleich im Gefängnis zu sein, sondern dieses Spiel, dass Kunst nicht immer so eindeutig ist.

So kam die Idee, dass wir auch selbst Kataloge drucken. Das war ja dann die Originalgrafik. Normalerweise war es verboten, eigene Druckerzeugnisse herzustellen. Aber wir haben den Spagat angewendet, um zu sagen ja, das ist ein Kunstkatalog mit Originalgrafiken und das ist ganz normal. Und da konnte man erstmal nicht viel machen. Und wir haben ja da auch nicht reingeschrieben, wir wollen jetzt den Staat stürzen, sondern wir wollten ja ganz anders. Das ist auch heute eigentlich mein Interesse: Lieber locken zu dem, was ich besser finde, als irgendwas… sinnlos sich nur dagegen zu stellen. Ich bin auch kein Märtyrer in dem Sinne, sondern ich wollte das, was mir gefällt, was mir Spaß macht, wo ich einen Sinn drin sehe und wo ich auch eine Verantwortung der Kunst sehe, das wollte ich so deutlich mit nach außen kehren, dass das der Flächenbrand eben eher ist, dass es noch mehr anzieht und noch mehr anzieht. Und so hat es ja auch irgendwie stattgefunden.

Deswegen behaupte ich wirklich, dass wir die DDR mit zu Fall gebracht, also auf jeden Fall die Mauer mit zu Fall gebracht haben, weil wir das, was wir gespürt haben, was wir wollen, in Bilder gefasst haben und das auch noch in Events letztendlich verknüpft, dass die nicht steif irgendwo hingen, sondern dass da auch gleich wieder nicht nur eine Party daraus wurde, sondern auch ein eigenes Denken multipliziert wurde. Auch unsere Kataloge haben ein eigenes Denken multipliziert.

Die schönste Zeit war wahrscheinlich zwischen 81 oder 82 – 82 bin ich ja schon hier rein – bis kurz vor Mauerfall, weil da war es plötzlich, als ob alles möglich ist und diese Sprengkraft. Man wollte dabei sein.“

Der Mauerfall und seine Folgen (Min. 15:41)

„Ich bin unglaublich froh, diesen Wahnsinnsmoment des Mauerfalls hier erlebt zu haben. Also emotional geht’s kaum größer.

Dieser Schub des Mauerfalls war natürlich großes Aufjubeln, dass jetzt alle Freiheiten da sind und bei mir war es sogar in der Kunst so deutlich zu sehen, dass erstmal nur noch Farbsprengungen da waren, überhaupt keine Figuren mehr.

Und ich habe ja auch ein Bild zum Mauerfall gemalt, das heißt „November 89″. Da habe ich sogar fast fertige Bilder zerschnitten, weil mir war klar, ich kann diesen Moment – auch emotional – nicht einfach abmalen oder illustrieren, sondern ich habe diese Brutalität des Zerschneidens von letztendlich fertigen Bildern, um sie neu zusammenzufügen, als Parallele gesehen zu dem, was ich gerade direkt erlebte.

Und es war so großartig – erst mal –, weil kein Mensch gedacht hätte, dass es in eine andere Richtung gehen könnte.

Nun hat es mich aber dummerweise gleich am Anfang erwischt.

Und zwar: Ich hab zwar dieses Haus als 99-jährigen Pachtvertrag gehabt und das Grundstück war mehr als doppelt so groß. Aber ich konnte es erst kaufen, als Hans Modrow – das war ja der letzte Ministerpräsident in der DDR – das Gesetz geschaffen hat, dass wir die Häuser kaufen können, in denen wir wohnen. Und dann habe ich das gekauft, aber die Bürokratie hat es einfach nicht geschafft, das ins Grundbuch zu bringen. Und es dauerte nicht lange, da stand dann eine westdeutsche Omi vor der Tür mit ihren Söhnen und meinte, das gehöre ihr. Sie wurde nämlich versehentlich 1960 noch ins Grundbuch eingetragen, obwohl sie schon drei Jahre im Westen war und dort entschädigt worden war.

Aber ich glaube, dieses Gesetz kennt ja kaum jemand. Und das war dann so ein bisschen wie Russisch Roulette: Der eine hatte einen Alt-Eigentümer, der andere hatte keinen. Und als es bei mir gerade richtig feurig losgehen konnte und ich in einer unwahrscheinlichen Euphorie war, mich sogar neu verliebt hatte, und der Mann kam aus dem Westen, während der andere kurz vor dem Mauerfall in den Westen gegangen war… Das war schon sensationell, irgendwie auch emotional. In dem Moment waren mir eigentlich die Hände gebunden oder die Flügel beschnitten. Ich konnte nicht einfach das, was ich gerade geschaffen habe und woran ich arbeite, machen und mich mit neuen Ideen Galerien vorstellen, damit es natürlich diesen Weg geht, den es gehen sollte, dass die Kunst auch nach außen befördert wird. Das kann ja ein Künstler nicht immer allein machen und sollte er auch gar nicht immer allein machen.

Ich war vier Jahre, geschlagene vier Jahre so damit beschäftigt, um dieses Haus zu kämpfen, weil der deutsche Einigungsvertrag die Klausel drin hatte: Rückgabe vor Entschädigung. Und rein vom Gesetzgeber hatte ich keine Chance zu sagen, ich habe das Haus hier nicht aus spekulativen Gründen gekauft, sondern ich lebe hier seit Ende 1982, Anfang 83. Das spielte gar keine Rolle.

Dann habe ich eine große Fotomappe gemacht, um nachzuweisen, dass ich hier redlich bin. Aber jedenfalls ging es dann so aus, dass wir einen Vergleich ansteuern mussten. Und diese alte Dame mit ihren vier Kindern – sie kam aus Siegburg bei Bonn –, die hat mir dann später gesagt – also für mich wurde es noch mal sehr teuer –, sie sagte mir dann: Ach Frau Walter, Sie glauben gar nicht, wie ich manchmal nachts im Bett liege und bedauere, dass ich das meinen Söhnen erzählt habe, oder meinen Kindern. Von diesem ganzen Geld hat sie sowieso nichts gesehen. Und die waren ja damals alle so scharf gemacht – die ganzen Bonner ziehen hierher, und der Wert steigt, das ist gleich Millionen wert und so ähnlich. Man konnte denen das ja nicht mal übelnehmen. Das ist ja… man wäre ja fast blöd gewesen, wenn man es nicht gemacht hätte.

Das ist aber eben mein Verhängnis gewesen, dass ich da fast ausgeblutet bin, weil ich habe zwar trotzdem weiter gemalt, aber ich hatte gar nicht diese Auftritts-Power, jetzt an Zukunft zu denken in meiner Kunst, sondern ich konnte halt nur malen an der Staffelei. Aber mich jetzt zu präsentieren, dass ich jetzt vielleicht eine Künstlerin bin, die man fördern könnte oder so ähnlich, das ging gar nicht. Und das war für mich, glaube ich, sehr, sehr tragisch, was jetzt mein Fortkommen angeht.

Aber auf der anderen Seite habe ich mich halt frei entwickelt und konnte diese ganzen Brüche, auch die künstlerischen Brüche, mehr mit… ihnen einen Genuss auch zufügen und habe zum Beispiel eben zwei Vereine gegründet, die für mich auch nochmal spannend waren, weil ich da vieles, vieles, vieles umsetzen konnte und auch vieles neu gelernt habe und dadurch letztendlich den Beton entdeckt habe. Das ist alles schon so in Ordnung. Aber ich weiß natürlich nicht, warum man so viel Kraft an so einer sinnlosen Stelle vergeuden musste. Und das ist das, was ich jetzt wirklich bedauere.

Und da war auf einmal dieser Westen, der neue Zustand, den viele genießen konnten, für mich gar nicht mehr da. Im Gegenteil: Ich habe mich so gut wie nie von diesen finanziellen Schäden erholt und hier nebenan steht jetzt ein großes Haus. Das steht eigentlich auf meinem Grundstück, wo ich auch nicht das Geld von Grund und Boden wiederbekommen habe.

Das weiß natürlich keiner. Und die haben das sofort weiterverkauft. Das sind die Dinge, die sich einfach nicht gut zusammengereimt haben.

Vielleicht sind auch heute deswegen noch viele sauer jetzt aus Ostdeutschland, die das erleben mussten, weil das wurde ja nie richtig publik gemacht. Das war ein Einzelfall dann immer und dann war es halt Pech oder so ähnlich.

Aber mir fällt es immer schwer, mich als Opfer darzustellen. Es ist schade. Ich hätte es mir selber gewünscht, dass ich mit meiner Kunst nahtlos in dieser Energie, in der ich ja sowieso war, hätte auftreten können.

Ich glaube, ich war letztendlich nie wirklich gebrochen. Ich bin wie so ein kleiner Münchhausen, der sich dann immer wieder selbst am Schopf aus dem Sumpf zieht und da ist immer dieser innere Motor, schaffen zu wollen und Ideen zu haben. Ich bin oft wie eine Getriebene, die weitermachen muss. Das ist gar nicht so meine Entscheidung, sondern das passiert.“

Neue Kunst in einer neuen Zeit (Min. 22:11)

„Erst nach dem Mauerfall oder kurz vor dem Mauerfall habe ich gespürt, dass ich aus der alten Wirkung der Ölmalerei ausbrechen wollte. Da hatte mich eine Weile diese letzte Firnis-Schicht gestört. Die habe ich dann immer wie so eine Wand zwischen Betrachter und Bild gesehen. Und mir ging es ja um die Öffnung. Und da hatten dann die Farben, wie zum Beispiel die Latexfarbe in der DDR, schon den ersten Schritt gemacht, dass eben dieser Spiegelglanzeffekt nicht mehr gesperrt hat, sondern da war eine andere Art, spritzig damit zu arbeiten, oder wieder eine neue Emotionalität. Und das hatte seinen ganz besonderen Reiz.

Und mir ging es darum, wie kann ich das erhalten und einsetzen, wenn es um die neue Zeit geht? Ich habe die Ölfarbe tatsächlich erst mal draußen gelassen, weil man muss sich dann entscheiden, um erst mal das auszuloten, was man gerade vorhat.

Und irgendwann kam ich mit diesem Materialbildern auch nicht mehr richtig weiter, weil dann hatte ich eigentlich das gesagt, was ich sagen wollte. Aber ich wollte wieder weiter.

Da kam eben dieser Schnitt, dass ich Bilder, die schon in diesen Betonstrukturen abstrakt beendet waren, aufgerissen habe und Teile in Ölmalerei wieder mit reingesetzt habe, aber eben auch Figuren. Und auf einmal fing das an, sich miteinander zu unterhalten. Da habe ich gemerkt, das ist jetzt der Weg, der mir gefällt.

Und dann bin ich noch weitergegangen. Jetzt eben, dass ich die Plexiglaselemente mit einbaue, um die Digitalität noch mal anders, aber eben nicht digital zu thematisieren, weil bei dem Digitalen ist das, was mich am meisten stört: Es ist immer ein An und Aus. Da gibt es nichts dazwischen. Wenn wir aber hier im Atelier sind, dann verändern sich die Bilder – ob der Mond kommt oder die Sonne, oder ob es nachts ist. Und immer wieder kann ich meine eigenen Bilder sogar neu sehen.

Und ich glaube unwahrscheinlich an das Original der Malerei und wenn ich jetzt über die Jetztzeit spreche: Ich war immer in dem Moment aktuell, weil ich die Zeit für mich einfangen wollte. Aber die Zeit hatte sich für mich verändert. Wäre zum Beispiel die Mauer nicht gefallen, wäre ich ja in diesem Expressionismus der DDR verblieben, der mir auch gefallen hat, weil der eine Wildheit hatte, weil der eine ja auch eine riesige Energie in einem, auch im Widerstand, frei gemacht hat.

Da wollte ich den Innendruck, das ist ja immer noch so ein bisschen Nabelschau gewesen, das war das einzige, wo nur auch der Staat nicht richtig rankam: wie ich mich fühle. Und deswegen sind viele auch Akte oder so was entstanden, die diesen Innendruck, dieses Sprengen, dieses Auseinandersprengen zeigen. Und da machte wieder ein Riesenspaß für mich – das hat mir die DDR dann auch gut gemacht –, da richtig mit den Farben loszulegen, raufzuklatschen und eine innere Turbulenz aus dem inneren Empfinden entstehen zu lassen – auch ekstatisch.

Und jetzt locke ich wieder mehr diese überlegte Seite raus, die auch baut – also fast wie ein Architekt oder ein Hausbauer eben. Ich baue jetzt meine Bilder anders und schaffe aber trotzdem wieder genügend Zerstörmomente, um auch das zu befriedigen, was ich ohnehin in der Malerei will. Aber es ist der Weg, der mich so sehr interessiert.

Und deswegen sind die Bilder von früher, die liebe ich sehr. Das ist es ja. Manche Menschen haben schon gesagt, früher hast du so emotional gemalt. Wie gesagt: Die Zeit hat sich verändert. Und ich denke aber auch unsere Sehgewohnheiten.

Immer, wenn ich male: Ich muss das so machen. Ich kann das nicht anders. Ich will das. Es treibt mich. Mein ganzes Leben treibt mich etwas und das ist dann so. Aber gerade in den letzten Jahren hab ich das Gefühl, dass ich sehr zufrieden bin mit dem…, als ob die Elemente zusammengeführt worden sind zu früher. Die sind anders. Aber vielleicht ist umso spannender, sie nebeneinander zu sehen.“

Interpretationsvorschläge

Im Video reflektiert Ulla Walter, inwiefern ihr künstlerisches Schaffen und ihre Biografie mit unterschiedlichen institutionellen, politischen und gesellschaftlichen Strukturen verwoben sind.