„Jubiläumswohnungen“ in der DDR: Propaganda für den Traum vom guten Leben

Träume & Albträume

Exponatentyp
Presseartikel
Datum
07.07.1978
Dauer
07:33 min

„Jubiläumswohnungen“ in der DDR: Propaganda für den Traum vom guten Leben

Träume & Albträume

Der Artikel erscheint im Sommer 1978 prominent auf der Titelseite der Zeitung Neues Deutschland. Er ist Teil der groß angelegten Berichterstattung zum Wohnungsbauprogramm der DDR unter Erich Honecker. Dieses 1973 beschlossene Programm sollte bis 1990 drei Millionen Wohnungen schaffen oder sanieren. Besondere Aufmerksamkeit erhalten sogenannte Jubiläumswohnungen. Ihre Übergabe wird öffentlichkeitswirksam inszeniert. Der Artikel schildert die symbolträchtige Übergabe der einmillionsten Wohnung in Berlin-Marzahn an die Arbeiterfamilie Großkopf. Begleitet von großformatigen Fotos zeigt der Bericht Erich Honecker bei der Schlüsselübergabe und beim Besuch der Wohnung. Der Artikel eröffnet spannende Perspektiven auf das Zusammenspiel von Politik, Medien und Alltag in der DDR.

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Die einmillionste Wohnung wurde an eine Berliner Arbeiterfamilie übergeben, in: Neues Deutschland vom 07.07.1978, S. 1

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Wohnungsbauprogramm wird konsequent verwirklicht

Die einmillionste Wohnung wurde an eine Berliner Arbeiterfamilie übergeben

Erich Honecker bei den Bauarbeitern der größten Wohnungsbaustelle der DDR in Berlin-Marzahn / Begegnung mit Brigaden / Minister Wolfgang Junker auf Meeting: Bauschaffende werden die vom IX. Parteitag der SED beschlossenen Aufgaben erfüllen / Schlüsselübergabe durch Oberbürgermeister Erhard Krack / Generalsekretär des ZK Gast im neuen Heim der Familie Großkopf

Von unseren Berichterstattern Dr. Jochen Zimmermann und Dieter Bolduan

 

Berlin. Im Beisein des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, wurde am Donnerstag auf einem Bauarbeitermeeting in Berlin-Marzahn die einmillionste Wohnung übergeben, die in Durchführung des vom VIII. Parteitag der SED beschlossenen Wohnungsbauprogramms seit 1971 in der DDR fertiggestellt wurde. Den Schlüssel erhielt die Familie des Berliner Arbeiters Hermann Großkopf, Brigadier der Beniner Werkzeugmaschinenfabrik Marzahn. Beim Rundgang durch das Wohngebiet folgte Erich Honecker der Einladung der Familie zu einem Beisammensein in der neuen Wohnung. Weitere herzliche Begegnungen hatte Erich Honecker mit vielen bekannten Berliner Bauarbeitern. Architekten, Projektanten und Bauleitern.

Am Besuch in Berlin-Marzahn, der größten Wohnungsbaustelle unserer Republik, nahmen auch die Mitglieder des Politbüros des ZK der SED Konrad Naumann, 1. Sekretär der Bezirksleitung Berlin, und Harry Tisch, Vorsitzender des FDGB-Bundesvorstandes, der Kandidat des Politbüros des ZK der SED Gerhard Schürer, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission, sowie der Minister für Bauwesen, Wolfgang Junker, und der Oberbürgermeister der Hauptstadt, Erhard Krack, teil.

Mit dem Neubau beziehungsweise der Modernisierung von einer Million Wohnungen haben sich in einem Zeitraum von siebeneinhalb Jahren die Wohnverhältnisse für nahezu 3,3 Millionen Bürger der DDR verbessert Die Zahl der jährlich fertiggestellten neu gebauten oder modernisierten Wohnungen stieg seit 1971 von 89 000 auf 163 000 im Jahr 1977.

Bei seinem Eintreffen in den frühen Nachmittagsstunden wurde Erich Honecker vor dem Informations- und Neuererzentrum des Neubaugebietes ein herzliches Willkommen entboten. Die FDJlerin Bettina Etzel überreichte einen Strauß roter Rosen. Zusammen mit den anderen Gästen waren Dr. Hans Reichelt, Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Lothar Lindner, Vorsitzender des Zentralvorstandes der IG Bau/Holz, Mitglieder des Sekretariats der SED-Bezirksleitung Berlin und des Magistrats erschienen.

Die Erbauer von Berlin-Marzahn haben im Wettbewerb zu Ehren des 30. Jahrestages der DDR große Erfolge aufzuweisen. Sie konnten im 1. Halbjahr 1978 bereits 1163 Wohnungen, 560 Plätze in Feierabendheimen, 52 Unterrichtsräume, 540 Kindergarten- und 270 Kinderkrippenplätze sowie eine Kaufhalle und eine Klubgaststätte fertigstellen. Es wurden zehn Kilometer neue Straßen, fünf Brücken und 4,5 Kilometer S-Bahn-Strecke übergeben. Darauf verwies Bezirksbaudirektor Dr. Günter Peters, der den Gästen verdiente Bauleute vorstellte. Einen festen Händedruck wechselte Erich Honecker mit Herbert Kohlmann, Träger des Karl-Marx-Ordens und Brigadier im Wohnungsbaukombinat Berlin, Peter Kaiser, Brigadier der Jugendbrigade „Hans Kiefert“ im VEB Kombinat Tiefbau, Wolfgang Kaiser, Jugendbrigadier im Bau- und Montagekombinat Ingenieurhochbau, Jugendbrigadier Otto Reißig, VEB Straßen- und Tiefbaukombinat Suhl, den Helden der Arbeit Heinz Ritter, Meister im Wohnungsbaukombinat, und Heinz Peyer, Brigadier im Betrieb Berlin des Autobahnbaukombinates. Viele von ihnen waren Erich Honecker von einer früheren Begegnung beim Bau des Allende-Viertels her gut bekannt. Gegenwärtig sind über 4160 Bauschaffende, davon 1920 Jugendliche der „FDJ-Initiative Berlin“, aus 42 Kombinaten und Betrieben der Hauptstadt und der Bezirke, auf dieser Großbaustelle tätig. 136 Kollektive, darunter alle 44 Jugendbrigaden, arbeiten nach dem Beispiel der Jugendbrigade „Hans Kiefert“: „Jeden Tag mit guter Bilanz“.

Der breiten Anwendung der Erfahrungen der Besten dient auch der seit Mitte des Jahres begonnene Leistungsvergleich der größten Wohnungsbauplätze unserer Republik, Berlin-Marzahn und Leipzig-Grünau. Die Gäste informierten sich über die Leistungen der auf dem Baugelände tätigen Kommunisten und des Parteiaktivs und betonten, daß das bisher Erreichte eine gute Grundlage für die Lösung der dem Wohnungsbau gestellten Aufgaben ist.

Am Modell im Informationszentrum erläuterte der Chefarchitekt der Aufbauleitung, Heinz Graffunder, das Wohnungsbauvorhaben Berlin-Marzahn, wo bis Mitte der achtziger Jahre 35 000 Wohnungen für rund 100 000 Bürger mit allen erforderlichen gesellschaftlichen Einrichtungen übergeben werden. 68 Prozent aller Wohnungen werden drei, vier oder fünf Räume haben. Die Grünfläche für jeden Einwohner betragt 23 Quadratmeter.

Ein wichtiges Anliegen der Bauleute ist es, Wohngebiet für Wohngebiet komplett fertigzustellen, damit die Mieter sich in ihrem neuen schönen Heim schnell wohl fühlen.

Nach dem Besuch im Informationszentrum begab sich Erich Honecker zur Baustelle, wo die Brigade Kohlmann gegenwärtig ein eingeschossiges Wohnhaus vom Typ WBS70 montiert. Der erfahrene Brigadier – jahrelang montierte er Wohnhochhäuser, und in jüngster Zeit errichtete sein Kollektiv Feierabendheime – leitet jetzt eine Jugendbrigade. In der lebhaften Unterhaltung schilderte Herbert Kohlmann, wie sich seine neue junge Brigade binnen weniger Monate entwickelt hat. Der Brigadier machte Erich Honecker mit den jungen Bauleuten bekannt, deren Devise lautet: „Ehrlich denken, verantwortungsbewußt arbeiten!“ Das Kollektiv ist erst im Februar gegründet worden, und doch kann gesagt werden, fügte Herbert Kohlmann hinzu, daß in dieser kurzen Zeit die verantwortungsvollen Aufgaben gut gelöst werden. Taktstraßenleiter Benno Radtke, er war Delegierter des IX. Parteitages der SED und sprach dort zur Diskussion, versicherte dem Generalsekretär, daß das neue Kollektiv von (Fortsetzung auf Seite 2)

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Die einmillionste Wohnung wurde an eine Berliner Arbeiterfamilie übergeben, in: Neues Deutschland vom 07.07.1978, S. 2

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Einmillionste Wohnung übergeben

(Fortsetzung von Seite 1)

Herbert Kohlmann, dem viele junge Bauarbeiter aus den Bezirken angehören, bereits ein Beispiel für Termintreue und Qualitätsarbeit gibt. Benno Radtke versprach unter der Zustimmung seiner Kollegen: „Wir halten unser Wort, Genosse Honecker, es ist das Schönste für uns, wenn nach getaner Arbeit die Mieter in ihre neuen Wohnungen einziehen, sich die Menschen wohl fühlen.“ Erich Honecker zollte der Runde der jungen Bauarbeiter Anerkennung für ihre Verpflichtung zum 30. Jahrestag der DDR, die Montageleistungen von durchschnittlich 2,5 auf 3,2 Wohnungseinheiten pro Tag bei einer Qualitätsnote von 1,4 zu erhöhen.

Herbert Kohlmann und Benno Radtke, fügte Konrad Naumann hinzu, haben eine ganze Generation klassenbewußter Bauarbeiter unserer Hauptstadt erzogen.

Hochrufe auf die SED, das Zentralkomitee und seinen Generalsekretär erschallten. Aus dem dichten Spalier streckten sich Erich Honecker viele Hände entgegen, wurden ihm Willkommensgrüße zugerufen, die er herzlich erwiderte.

Unmittelbar vor dem Block mit der einmillionsten Wohnung fand ein eindrucksvolles Meeting statt. An der Seite der Arbeiterin Herta Rehbein, einer seit 27 Jahren im Wohnungsbaukombinat tätigen Malerin, und des Bauleiters Bernd Meißner, eines mehrfach ausgezeichneten Taktstraßenleiters, begab sich Erich Honecker zu der Kundgebungstribüne. Weithin leuchteten von einem Spruchband am Haus die Worte: „Unser sozialpolitisches Programm wird verwirklicht: Eine Million Wohnungen seit dem VIII. Parteitag der SED.“ Andere Transparente innerhalb des Spaliers bekräftigten das Verantwortungsbewußtsein der Bauschaffenden bei der Verwirklichung des sozialpolitischen Programms. „Gut arbeiten, exakt abrechnen, termin- und qualitätsgerecht übergeben“ sowie „Jeden Tag mit guter Bilanz“ lauteten die Inschriften auf Transparenten oder Plakaten, die von Bauarbeitern getragen wurden.

In seiner Rede sagte Wolfgang Junker, daß die anteiligen Zielstellungen des Fünfjahrplanes bis 30. Juni dieses Jahres um 40 000 neugebaute und modernisierte Wohnungen überboten wurden. Im Auftrag des Zentralkomitees der SED und des Ministerrates der DDR dankte er den Bauschaffenden und allen Werktätigen der Republik, die an unserem Wohnungsbauprogramm mitwirken. Der Wohnungsbau in Berlin werde weiter beschleunigt.

Während des Meetings enthüllten Brigadier Martin Herms und Bauarbeiter Werner Lange eine Erinnerungstafel am Haus Marchwitzastraße 129. Auf ihr stehen die Worte: „Hier erfolgte am 6. Juli 1978 im Beisein des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, die Übergabe der 1 000 000. Wohnung, die in Durchführung des vom VIII. Parteitag der SED beschlossenen Wohnungsbauprogramms seit 1971 fertiggestellt wurde.“

Erhard Krack überreichte der Berliner Arbeiterfamilie Hermann Großkopf symbolisch die Schlüssel für ihr neues Heim. Bewegt sprach der Brigadier aus der BWF Marzahn für diese Ehrung seinen herzlichsten Dank aus. Die Partei hat beschlossen, sagte er, daß die Wohnungsfrage für die Menschen in unserer Republik bis 1990 gelöst werden soll. Wie sie Wort hält, erleben die Bürger der DDR auf Schritt und Tritt. „Meine Frau und ich sind glücklich, daß wir eine so schöne Wohnung zu dem für die DDR typischen niedrigen Mietpreis erhalten haben. Für uns ist diese Wohnung wie ein großer Treffer in der Lotterie, nur daß dieses Glück nicht das Ergebnis eines Spieles, sondern Ergebnis des zielstrebigen Arbeitens vieler ist“, erklärte Hermann Großkopf. „Wir sind stolz darauf, was in 30jähriger Entwicklung der DDR geschaffen worden ist.“

Nach einem Besuch in der neuen Wohnung der Familie unternahmen die Gäste einen Spaziergang durch den ersten Bauabschnitt des Wohngebietes. Während sich ein Häuserblock des weiträumigen Wohnhofes noch im Ausbau befindet, sind vor den bezogenen Häusern bereits die Grünanlagen geschaffen worden. Kinderkrippe und Kindergarten, Kaufhalle und Klubgaststätte waren mit dem Einzug der ersten Mieter unweit dieses Viertels übergeben worden. Im Entstehen sind eine Poliklinik mit 53 Arztplätzen und eine Apotheke.

Bei „Mach mit“!-Einsätzen haben Hunderte Bürger an Wochenenden geholfen, Vorgärten anzulegen, Sträucher und Blumen zu pflanzen.

Vor einem dreigeschossigen Kindergarten mit Kinderkrippe wurden Erich Honecker und die anderen Genossen von Kindern mit kleinen Blumensträußen empfangen. Wir sind sehr froh darüber gewesen, erzählten die Kindergärtnerinnen, daß diese schöne Einrichtung von den Bauleuten gleich mit Rasen und Spielplatz übergeben wurde. An der Kaufhalle und an der Klubgaststätte – dort nehmen derzeit auch Bauarbeiter eine warme Mahlzeit ein – endete der Spaziergang. Erich Honecker wurde von den Bauarbeitern herzlich verabschiedet.

Bildunterschriften auf Seite 1:
Bildunterschrift oben: Beim Bauarbeiter-Meeting eine herzliche Gratulation zur Schlüsselübergabe
Bildunterschrift rechts Mitte: Im neuen Heim des Werkzeugmaschinenbauers Hermann Großkopf / Foto: ZK/Koard
Bildunterschrift rechts unten: Gespräch mit Meister Heinz Ritter und Brigadier Herbert Kohlmann
Bildunterschrift unten: Blick auf die größte Wohnungsbaustelle unserer Republik: Berlin-Marzahn / Fotos: ND/Schönfeld

Allgemeine Informationen

Titel: „Die einmillionste Wohnung wurde an eine Berliner Arbeiterfamilie übergeben“. In: Neues Deutschland, 07.07.1978.

Medienart: Presseartikel

Autoren: Jochen Zimmermann, Dieter Bolduan

Jahr: 1978

Gesamtänge: 2 Seiten

Besitzende Einrichtung: Grundstücksgesellschaft FMP1 Berlin (ehem. ND- Genossenschaft)

Empfohlene Zitierweise: Jochen Zimmermann, Dieter Bolduan: „Die einmillionste Wohnung wurde an eine Berliner Arbeiterfamilie übergeben“. In: Neues Deutschland, 07.07.1978, S. 1f. Abgerufen unter: https://dut-ausstellung.de/source/jubilaeumswohnungen-in-der-ddr-propaganda-fuer-den-traum-vom-guten-leben/.

Quelle in der digitalen Sammlung der Thulb

Transkript

Wohnungsbauprogramm wird konsequent verwirklicht

Die einmillionste Wohnung wurde an eine Berliner Arbeiterfamilie übergeben

Erich Honecker bei den Bauarbeitern der größten Wohnungsbaustelle der DDR in Berlin-Marzahn / Begegnung mit Brigaden / Minister Wolfgang Junker auf Meeting: Bauschaffende werden die vom IX. Parteitag der SED beschlossenen Aufgaben erfüllen / Schlüsselübergabe durch Oberbürgermeister Erhard Krack / Generalsekretär des ZK Gast im neuen Heim der Familie Großkopf

Von unseren Berichterstattern Dr. Jochen Zimmermann und Dieter Bolduan

 

Berlin. Im Beisein des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, wurde am Donnerstag auf einem Bauarbeitermeeting in Berlin-Marzahn die einmillionste Wohnung übergeben, die in Durchführung des vom VIII. Parteitag der SED beschlossenen Wohnungsbauprogramms seit 1971 in der DDR fertiggestellt wurde. Den Schlüssel erhielt die Familie des Berliner Arbeiters Hermann Großkopf, Brigadier der Beniner Werkzeugmaschinenfabrik Marzahn. Beim Rundgang durch das Wohngebiet folgte Erich Honecker der Einladung der Familie zu einem Beisammensein in der neuen Wohnung. Weitere herzliche Begegnungen hatte Erich Honecker mit vielen bekannten Berliner Bauarbeitern. Architekten, Projektanten und Bauleitern.

Am Besuch in Berlin-Marzahn, der größten Wohnungsbaustelle unserer Republik, nahmen auch die Mitglieder des Politbüros des ZK der SED Konrad Naumann, 1. Sekretär der Bezirksleitung Berlin, und Harry Tisch, Vorsitzender des FDGB-Bundesvorstandes, der Kandidat des Politbüros des ZK der SED Gerhard Schürer, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission, sowie der Minister für Bauwesen, Wolfgang Junker, und der Oberbürgermeister der Hauptstadt, Erhard Krack, teil.

Mit dem Neubau beziehungsweise der Modernisierung von einer Million Wohnungen haben sich in einem Zeitraum von siebeneinhalb Jahren die Wohnverhältnisse für nahezu 3,3 Millionen Bürger der DDR verbessert Die Zahl der jährlich fertiggestellten neu gebauten oder modernisierten Wohnungen stieg seit 1971 von 89 000 auf 163 000 im Jahr 1977.

Bei seinem Eintreffen in den frühen Nachmittagsstunden wurde Erich Honecker vor dem Informations- und Neuererzentrum des Neubaugebietes ein herzliches Willkommen entboten. Die FDJlerin Bettina Etzel überreichte einen Strauß roter Rosen. Zusammen mit den anderen Gästen waren Dr. Hans Reichelt, Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Lothar Lindner, Vorsitzender des Zentralvorstandes der IG Bau/Holz, Mitglieder des Sekretariats der SED-Bezirksleitung Berlin und des Magistrats erschienen.

Die Erbauer von Berlin-Marzahn haben im Wettbewerb zu Ehren des 30. Jahrestages der DDR große Erfolge aufzuweisen. Sie konnten im 1. Halbjahr 1978 bereits 1163 Wohnungen, 560 Plätze in Feierabendheimen, 52 Unterrichtsräume, 540 Kindergarten- und 270 Kinderkrippenplätze sowie eine Kaufhalle und eine Klubgaststätte fertigstellen. Es wurden zehn Kilometer neue Straßen, fünf Brücken und 4,5 Kilometer S-Bahn-Strecke übergeben. Darauf verwies Bezirksbaudirektor Dr. Günter Peters, der den Gästen verdiente Bauleute vorstellte. Einen festen Händedruck wechselte Erich Honecker mit Herbert Kohlmann, Träger des Karl-Marx-Ordens und Brigadier im Wohnungsbaukombinat Berlin, Peter Kaiser, Brigadier der Jugendbrigade „Hans Kiefert“ im VEB Kombinat Tiefbau, Wolfgang Kaiser, Jugendbrigadier im Bau- und Montagekombinat Ingenieurhochbau, Jugendbrigadier Otto Reißig, VEB Straßen- und Tiefbaukombinat Suhl, den Helden der Arbeit Heinz Ritter, Meister im Wohnungsbaukombinat, und Heinz Peyer, Brigadier im Betrieb Berlin des Autobahnbaukombinates. Viele von ihnen waren Erich Honecker von einer früheren Begegnung beim Bau des Allende-Viertels her gut bekannt. Gegenwärtig sind über 4160 Bauschaffende, davon 1920 Jugendliche der „FDJ-Initiative Berlin“, aus 42 Kombinaten und Betrieben der Hauptstadt und der Bezirke, auf dieser Großbaustelle tätig. 136 Kollektive, darunter alle 44 Jugendbrigaden, arbeiten nach dem Beispiel der Jugendbrigade „Hans Kiefert“: „Jeden Tag mit guter Bilanz“.

Der breiten Anwendung der Erfahrungen der Besten dient auch der seit Mitte des Jahres begonnene Leistungsvergleich der größten Wohnungsbauplätze unserer Republik, Berlin-Marzahn und Leipzig-Grünau. Die Gäste informierten sich über die Leistungen der auf dem Baugelände tätigen Kommunisten und des Parteiaktivs und betonten, daß das bisher Erreichte eine gute Grundlage für die Lösung der dem Wohnungsbau gestellten Aufgaben ist.

Am Modell im Informationszentrum erläuterte der Chefarchitekt der Aufbauleitung, Heinz Graffunder, das Wohnungsbauvorhaben Berlin-Marzahn, wo bis Mitte der achtziger Jahre 35 000 Wohnungen für rund 100 000 Bürger mit allen erforderlichen gesellschaftlichen Einrichtungen übergeben werden. 68 Prozent aller Wohnungen werden drei, vier oder fünf Räume haben. Die Grünfläche für jeden Einwohner betragt 23 Quadratmeter.

Ein wichtiges Anliegen der Bauleute ist es, Wohngebiet für Wohngebiet komplett fertigzustellen, damit die Mieter sich in ihrem neuen schönen Heim schnell wohl fühlen.

Nach dem Besuch im Informationszentrum begab sich Erich Honecker zur Baustelle, wo die Brigade Kohlmann gegenwärtig ein eingeschossiges Wohnhaus vom Typ WBS70 montiert. Der erfahrene Brigadier – jahrelang montierte er Wohnhochhäuser, und in jüngster Zeit errichtete sein Kollektiv Feierabendheime – leitet jetzt eine Jugendbrigade. In der lebhaften Unterhaltung schilderte Herbert Kohlmann, wie sich seine neue junge Brigade binnen weniger Monate entwickelt hat. Der Brigadier machte Erich Honecker mit den jungen Bauleuten bekannt, deren Devise lautet: „Ehrlich denken, verantwortungsbewußt arbeiten!“ Das Kollektiv ist erst im Februar gegründet worden, und doch kann gesagt werden, fügte Herbert Kohlmann hinzu, daß in dieser kurzen Zeit die verantwortungsvollen Aufgaben gut gelöst werden. Taktstraßenleiter Benno Radtke, er war Delegierter des IX. Parteitages der SED und sprach dort zur Diskussion, versicherte dem Generalsekretär, daß das neue Kollektiv von (Fortsetzung auf Seite 2)

Einmillionste Wohnung übergeben

(Fortsetzung von Seite 1)

Herbert Kohlmann, dem viele junge Bauarbeiter aus den Bezirken angehören, bereits ein Beispiel für Termintreue und Qualitätsarbeit gibt. Benno Radtke versprach unter der Zustimmung seiner Kollegen: „Wir halten unser Wort, Genosse Honecker, es ist das Schönste für uns, wenn nach getaner Arbeit die Mieter in ihre neuen Wohnungen einziehen, sich die Menschen wohl fühlen.“ Erich Honecker zollte der Runde der jungen Bauarbeiter Anerkennung für ihre Verpflichtung zum 30. Jahrestag der DDR, die Montageleistungen von durchschnittlich 2,5 auf 3,2 Wohnungseinheiten pro Tag bei einer Qualitätsnote von 1,4 zu erhöhen.

Herbert Kohlmann und Benno Radtke, fügte Konrad Naumann hinzu, haben eine ganze Generation klassenbewußter Bauarbeiter unserer Hauptstadt erzogen.

Hochrufe auf die SED, das Zentralkomitee und seinen Generalsekretär erschallten. Aus dem dichten Spalier streckten sich Erich Honecker viele Hände entgegen, wurden ihm Willkommensgrüße zugerufen, die er herzlich erwiderte.

Unmittelbar vor dem Block mit der einmillionsten Wohnung fand ein eindrucksvolles Meeting statt. An der Seite der Arbeiterin Herta Rehbein, einer seit 27 Jahren im Wohnungsbaukombinat tätigen Malerin, und des Bauleiters Bernd Meißner, eines mehrfach ausgezeichneten Taktstraßenleiters, begab sich Erich Honecker zu der Kundgebungstribüne. Weithin leuchteten von einem Spruchband am Haus die Worte: „Unser sozialpolitisches Programm wird verwirklicht: Eine Million Wohnungen seit dem VIII. Parteitag der SED.“ Andere Transparente innerhalb des Spaliers bekräftigten das Verantwortungsbewußtsein der Bauschaffenden bei der Verwirklichung des sozialpolitischen Programms. „Gut arbeiten, exakt abrechnen, termin- und qualitätsgerecht übergeben“ sowie „Jeden Tag mit guter Bilanz“ lauteten die Inschriften auf Transparenten oder Plakaten, die von Bauarbeitern getragen wurden.

In seiner Rede sagte Wolfgang Junker, daß die anteiligen Zielstellungen des Fünfjahrplanes bis 30. Juni dieses Jahres um 40 000 neugebaute und modernisierte Wohnungen überboten wurden. Im Auftrag des Zentralkomitees der SED und des Ministerrates der DDR dankte er den Bauschaffenden und allen Werktätigen der Republik, die an unserem Wohnungsbauprogramm mitwirken. Der Wohnungsbau in Berlin werde weiter beschleunigt.

Während des Meetings enthüllten Brigadier Martin Herms und Bauarbeiter Werner Lange eine Erinnerungstafel am Haus Marchwitzastraße 129. Auf ihr stehen die Worte: „Hier erfolgte am 6. Juli 1978 im Beisein des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, die Übergabe der 1 000 000. Wohnung, die in Durchführung des vom VIII. Parteitag der SED beschlossenen Wohnungsbauprogramms seit 1971 fertiggestellt wurde.“

Erhard Krack überreichte der Berliner Arbeiterfamilie Hermann Großkopf symbolisch die Schlüssel für ihr neues Heim. Bewegt sprach der Brigadier aus der BWF Marzahn für diese Ehrung seinen herzlichsten Dank aus. Die Partei hat beschlossen, sagte er, daß die Wohnungsfrage für die Menschen in unserer Republik bis 1990 gelöst werden soll. Wie sie Wort hält, erleben die Bürger der DDR auf Schritt und Tritt. „Meine Frau und ich sind glücklich, daß wir eine so schöne Wohnung zu dem für die DDR typischen niedrigen Mietpreis erhalten haben. Für uns ist diese Wohnung wie ein großer Treffer in der Lotterie, nur daß dieses Glück nicht das Ergebnis eines Spieles, sondern Ergebnis des zielstrebigen Arbeitens vieler ist“, erklärte Hermann Großkopf. „Wir sind stolz darauf, was in 30jähriger Entwicklung der DDR geschaffen worden ist.“

Nach einem Besuch in der neuen Wohnung der Familie unternahmen die Gäste einen Spaziergang durch den ersten Bauabschnitt des Wohngebietes. Während sich ein Häuserblock des weiträumigen Wohnhofes noch im Ausbau befindet, sind vor den bezogenen Häusern bereits die Grünanlagen geschaffen worden. Kinderkrippe und Kindergarten, Kaufhalle und Klubgaststätte waren mit dem Einzug der ersten Mieter unweit dieses Viertels übergeben worden. Im Entstehen sind eine Poliklinik mit 53 Arztplätzen und eine Apotheke.

Bei „Mach mit“!-Einsätzen haben Hunderte Bürger an Wochenenden geholfen, Vorgärten anzulegen, Sträucher und Blumen zu pflanzen.

Vor einem dreigeschossigen Kindergarten mit Kinderkrippe wurden Erich Honecker und die anderen Genossen von Kindern mit kleinen Blumensträußen empfangen. Wir sind sehr froh darüber gewesen, erzählten die Kindergärtnerinnen, daß diese schöne Einrichtung von den Bauleuten gleich mit Rasen und Spielplatz übergeben wurde. An der Kaufhalle und an der Klubgaststätte – dort nehmen derzeit auch Bauarbeiter eine warme Mahlzeit ein – endete der Spaziergang. Erich Honecker wurde von den Bauarbeitern herzlich verabschiedet.

Bildunterschriften auf Seite 1:
Bildunterschrift oben: Beim Bauarbeiter-Meeting eine herzliche Gratulation zur Schlüsselübergabe
Bildunterschrift rechts Mitte: Im neuen Heim des Werkzeugmaschinenbauers Hermann Großkopf / Foto: ZK/Koard
Bildunterschrift rechts unten: Gespräch mit Meister Heinz Ritter und Brigadier Herbert Kohlmann
Bildunterschrift unten: Blick auf die größte Wohnungsbaustelle unserer Republik: Berlin-Marzahn / Fotos: ND/Schönfeld

Interpretationsvorschläge

Mit dem Regierungsantritt Erich Honeckers 1971 veränderte sich die Politik in der DDR. Unter der Maßgabe einer „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ sollten die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessert werden. Ein kritischer Punkt war die Versorgung mit Wohnraum, aber auch der Zustand der Wohnungen. Viele Häuser in den Altstädten verfielen und/oder waren unbewohnbar. Oft warteten Familien jahrelang auf eine passende Wohnung. Das Wohnungsbauprogramm, das auf dem VIII. Parteitag der SED 1973 verkündet worden war, bildete einen Schwerpunkt der neuen Politik. Bis 1990 sollten drei Millionen Wohnungen gebaut oder saniert werden. Jedem Menschen und jeder Familie sollte danach eine passende Wohnung zur Verfügung stehen.

Seit den 1970er Jahren entstanden in allen Bezirken der DDR Neubauviertel: Berlin-Marzahn, Dresden-Prohlis, Leipzig-Grünau, Rostock-Lichtenhagen, Jena-Lobeda und viele andere. Der Artikel zeigt die propagandistische Seite des Wohnungsbauprogramms. Erfolgsmeldungen sollten beglaubigen, dass sich das Leben der Menschen in der DDR verbesserte. Zahlen waren dabei von besonderer Bedeutung, sie dienten als Beleg der Erfolgsmeldungen und als plausibler Beweis der Baufortschritte.

Die Übergabe von „Jubiläumswohnungen“ lässt sich als Ritual der Berichterstattung verstehen. In Zeitungen, im Rundfunk und im Fernsehen wurde stets nach demselben Muster über die erreichten Erfolge berichtet. Ob es sich um die 500.000 oder die zweimillionste Wohnung handelte: Honecker besuchte die Baustelle und später, nachdem die Schlüssel öffentlichkeitswirksam übergeben worden waren, die „Jubiläumswohnungen“. Die Übergabe der millionsten Wohnung bildete einen Höhepunkt dieser Berichterstattung, Berlin-Marzahn als Vorzeigeviertel war ihr Schauplatz. Auch die Familie war eine Modellfamilie: der Mann Arbeiter, die Frau Lehrerin. Als Eltern einer Tochter repräsentierten sie die sozialistische Kleinfamilie. Ein Höhepunkt der Übergabe der einmillionsten Wohnung an die Großkopfs war der Besuch Honeckers in der Wohnung der Familie, wo er mit Kaffee und Kuchen bewirtet wurde und das Kinderzimmer der Tochter bestaunte.

Die Propaganda der Zahl sollte beglaubigen, dass der Traum der Menschen von einem guten Leben im Sozialismus verwirklicht wurde. Tatsächlich waren die Wohnungen für viele eine große Verbesserung: Sie verfügten – im Gegensatz zu vielen Altbauwohnungen – über ein Innenbad und Fernwärme und waren funktional geschnitten. Dennoch waren Neubauwohnungen nicht für alle Menschen attraktiv: Manch eine:r wollte nicht in den monotonen Wohnscheiben der Neubauviertel leben, die Wohnungen waren schlecht gebaut und hellhörig, das Umfeld der Blöcke blieb oft Baustelle; ein Matschspielplatz immerhin für die Kinder.

Dennoch repräsentieren die Viertel bis heute für viele den Traum von einem guten Leben im Sozialismus. Nach dem Ende der DDR wurden sie – ähnlich wie die Neubauviertel in Westdeutschland – in der Presse schnell zur ,Platte‘ abgewertet. Sie standen für soziale Brennpunkte und prekäre Lebensverhältnisse. Dabei sind Lebensrealität und -qualität in diesen Vierteln divers und standortabhängig.

Weitere Ausstellungskategorien

Wohnen

Quellenkritik

Der Artikel eignet sich exemplarisch dafür, sich kritisch mit der parteioffiziellen Berichterstattung im realen Sozialismus auseinanderzusetzen. Nicht nur beim Thema Wohnungsbau instrumentalisierten Journalist:innen der parteioffiziellen Presse Zahlen, um das Erreichte auf einen Blick sichtbar zu machen und zu beglaubigen. In diesem sozialistischen Leistungswettbewerb dienten Zahlen als Beweis: Die Zahl der neugebauten oder modernisierten Wohnungen stellte einen vermeintlichen Beleg dafür dar, dass das groß angelegte Wohnungsbauprogramm in die Realität umgesetzt wurde: auf der Ebene jeder Stadt, jedes Bezirkes und des ganzen Landes. Planzahlen, deren Erfüllung und Übererfüllung bedienten eine Steigerungslogik. So sagte Bauminister Junker in seiner Rede, die Wohnungszahl des Fünfjahresplanes sei bereits „um 40.000 neugebaute oder modernisierte Wohnungen überboten“ worden. Außerdem wurde darüber berichtet, wie viele Bauarbeiter auf der Baustelle arbeiteten, wie viele Krippen und Schulen gebaut worden waren und wie viele Quadratmeter Wohnraum nun jedem Bürger und jeder Bürgerin zur Verfügung standen. Die Quelle zeigt exemplarisch, wie die Propagandasprache des Sozialismus auf Steigerungsformen setzte und bewusst den Komparativ und Superlativ nutzte.

In der Arbeit mit diesen Quellen muss die Propaganda sorgfältig von der Umsetzung und Realität unterschieden werden.