KW „Sofia“ – Stasi-Geheimtreffen im Neubaugebiet

Wohnen

Exponatentyp
Dokument/Akte
Datum
1982-1986
Dauer
15:26 min

KW „Sofia“ – Stasi-Geheimtreffen im Neubaugebiet

Wohnen

Die Akte dokumentiert die geheimdienstliche Nutzung der Konspirativen Wohnung (KW) „Sofia“ in einem Neubaugebiet von Erfurt. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mietet diese Wohnung direkt an. Sie wird professionell eingerichtet und dient als Treffpunkt für hochrangige Inoffizielle Mitarbeiter (IM) und Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS). Besondere Sicherheitsvorkehrungen werden getroffen: Ein fiktiver Mieter bezieht die Wohnung und ein Hausmeisterehepaar wird in die Konspiration einbezogen. Die Akte bietet einen Einblick in die zunehmende Professionalisierung des MfS in den 1980er Jahren. Sie dokumentiert auch die Nutzung strategisch wichtiger urbaner Räume für geheimdienstliche Zwecke.

KW „Sofia“ – Stasi-Geheimtreffen im Neubaugebiet

BArch, MfS, BV Erfurt, AIM 1168/86 – KW „Sofia“, Seite 6

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Allgemeine Informationen

Titel: AIM 1168-86 – KW Sofia – 82-86

Medienart: Akte, Dokumente, Fotografien

Urheber: Ministerium für Staatssicherheit (MfS)

Jahr: 1982-1986

Gesamtumfang: 22 Seiten

Besitzende Einrichtung: Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv

Empfohlene Zitierweise: Akte zur konspirativen Wohnung „Sofia“. Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv, BArch, MfS, BV Erfurt, AIM 1168/86. Abgerufen unter: https://dut-ausstellung.de/source/kw-sofia-stasi-geheimtreffen-im-neubaugebiet/.

Quelle in der digitalen Sammlung der Thulb

Vertiefende Einblicke zu konspirativen Wohnungen in der begleitenden Podcast-Serie „Geheimnisvolle Vergangenheit“ in Kooperation mit Radio F.R.E.I.:
https://www.radio-frei.de/index.php?iid=7&ksubmit_show=Artikel&kartikel_id=10526

Transkript

Das Transkript der einzelnen Seiten ist in der Detailansicht der Quelle nachzulesen.

Interpretationsvorschläge

Die vorliegende Akte des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR dokumentiert die Nutzung der Konspirativen Wohnung (KW) mit dem Decknamen „Sofia“, die von 1982 bis 1986 in einem Neubaugebiet in Erfurt betrieben wurde. Die Akte bietet nicht nur einen Einblick in die Arbeit des MfS, sondern reflektiert auch die gesellschaftlichen und städtebaulichen Bedingungen der DDR in den 1980er Jahren. Sie zeigt, wie das MfS Neubaugebiete nutzte, um seine Ziele zu erreichen, und wie es dabei zunehmend auf Professionalität und genaue Planung setzte. Die KW „Sofia“ ist ein exemplarisches Beispiel für die Arbeit des MfS im städtischen Raum und verdeutlicht die Bedeutung der Konspiration und der Sicherheit in der geheimdienstlichen Tätigkeit.

Die KW „Sofia“ befand sich in einer zentral gelegenen Einraumwohnung in einem dicht besiedelten Wohngebiet von Erfurt. Die geheimdienstliche Nutzung der Wohnung begann bereits 1977 und wurde 1982 erst formell registriert. Dass eine KW selbst intern geheim ,betrieben‘ wurde, ist extrem ungewöhnlich. Diese Arbeitsweise kann nur damit erklärt werden, dass in dieser Wohnung hochrangige Inoffizielle Mitarbeiter (IM) getroffen wurden. Sie war direkt vom MfS angemietet und wurde so eingerichtet und getarnt, dass sie für geheime Treffen optimal geeignet war und die Konspiration jederzeit gewährleistet werden konnte.

Die Entscheidung, diese Wohnung als KW zu nutzen, basierte auf mehreren wichtigen Kriterien: Die zentrale Lage in einem belebten Wohngebiet ermöglichte es, dass geheime Treffen unauffällig durchgeführt werden konnten, da der Personenverkehr in der Umgebung eine natürliche Deckung bot. Zudem war die Wohnung gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar, was die Anreise der IM und Gesellschaftlichen Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) erleichterte.

Die KW „Sofia“ wurde hauptsächlich für Treffen mit wichtigen IM und GMS genutzt. Die Sicherheit und Konspiration dieser Treffen hatten höchste Priorität. Die Staatssicherheit stellte sicher, dass die Wohnung jederzeit nutzbar war und keine unerwünschten Personen Zugang erhielten. Dazu kontrollierte beispielsweise ein inoffiziell eingesetztes Hausmeisterehepaar die Reinigungsarbeiten. Die Wohnung wurde durchgehend als Nebenwohnung eines fiktiven Mieters geführt, dessen Personalien getarnt waren. Dieses Vorgehen gewährleistete, dass die Nutzung bei offiziellen Kontrollen, wie etwa Wohnraumzählungen oder Wahlen, nicht auffiel.

Die Akte zur KW „Sofia“ bietet auch einen Einblick in die zunehmende Professionalisierung der MfS-Arbeit in den 1980er Jahren. Im Gegensatz zu früheren KW, bei denen oft nur schematische Zeichnungen der Umgebung angefertigt wurden, enthält die Akte „Sofia“ eine umfangreiche Fotodokumentation, die die genaue Lage der Wohnung, die umliegenden Straßen und Ampelkreuzungen zeigt. Sie war Teil der Bemühungen des MfS, die geheimdienstliche Sicherheit zu maximieren und alle Eventualitäten zu berücksichtigen. Solche Fotos und Zeichnungen dienten den Mitarbeitenden des MfS zur schnellen Einarbeitung, was z. B. bei einer Übergabe der KW an andere Offiziere oder bei der Einführung neuer IM in der Wohnung notwendig war.

Trotz der umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen entsprach die KW „Sofia“ ab Mitte der 1980er Jahre nicht mehr den Anforderungen des MfS. Insbesondere das Hausmeisterehepaar geriet unter Verdacht und wurde geheimdienstlich beobachtet. Aufgrund dieser Entwicklung entschied das MfS, die Nutzung der KW „Sofia“ zu beenden und die Wohnung offiziell an einen Mitarbeiter des MfS zu vermieten.

Der gesamte Vorgang wurde professionell abgewickelt: Die Wohnung wurde aufgelöst, das Inventar in eine neue KW mit dem Decknamen „Silo“ übertragen und die Akte „Sofia“ archiviert. Diese Maßnahmen verdeutlichen die Flexibilität und das hohe Maß an Organisation, mit dem das MfS seine Aufgaben durchführte, ohne dass die Anwohner:innen in diesem Haus jemals etwas von der KW gewusst haben.

Weitere Ausstellungskategorien

Gewalträume/Schutzräume

Quellenkritik

Die hier vorliegende Quelle stammt aus dem Bestand der ehemaligen DDR-Staatssicherheit und dokumentiert über einen Zeitraum von 1982 bis 1986 die Einrichtung, Nutzung und spätere Auflösung der Konspirativen Wohnung (KW) mit dem Decknamen „Sofia“ in Erfurt. Es handelt sich um eine interne Akte des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die vor allem verwaltungsinterne Abläufe, operative Einschätzungen sowie Lage- und Umfeldanalysen enthält.

Die Dokumente wurden von verschiedenen Mitarbeitenden der Abteilung VIII (Spionageabwehr/Observation) der MfS-Bezirksverwaltung Erfurt verfasst. Als interne Arbeitsunterlagen richteten sie sich an vorgesetzte Stellen innerhalb des MfS. Die Intention war nicht die nachträgliche Rechtfertigung, sondern die unmittelbare Planung, Absicherung und Kontrolle eines geheimdienstlichen Vorgangs: die Nutzung einer Wohnung zur Durchführung konspirativer Treffen mit Inoffiziellen Mitarbeitern (IM).

Die Quelle ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen, sondern Ausdruck der internen Denk- und Funktionsweise des MfS. Sprache, Begrifflichkeit und Argumentationsstruktur spiegeln die bürokratisch durchorganisierte, auf Sicherheit fokussierte Logik eines autoritären Überwachungsapparats.

Die Quelle erlaubt Einblicke in die geheimdienstliche Arbeit des MfS – insbesondere in Bezug auf die Auswahl und Absicherung von Treffpunkten, die hohe Bedeutung von Konspiration im Wohnumfeld sowie die technische, logistische und personelle Umsetzung solcher Maßnahmen. Dabei zeigt sich, wie systematisch selbst alltäglich wirkende Vorgänge – etwa die Möblierung oder die Tarnung gegenüber Nachbar:innen – geplant und dokumentiert wurden. Zugleich offenbart sich die starke Durchdringung gesellschaftlicher Räume durch das MfS.

Obwohl die Akte formal präzise wirkt, gibt sie ausschließlich die Perspektive des MfS wieder, nicht jedoch die der betroffenen Personen (z. B. Nachbar:innen, IM, Bewohner:innen). Subjektive Zuschreibungen wie „sicherheitspolitisch nicht mehr tragbar“ oder Einschätzungen von Personen erfolgen aus MfS-Logik und sind nicht überprüfbar.

Problematisch ist zudem, dass Begriffe wie „Konspiration“, „Absicherung“ oder „Gefährdungslage“ nicht in allgemeingültigem Sinn, sondern im ideologisch aufgeladenen Kontext des MfS verwendet werden. Auch die Auswahl der Informationen folgt keinem neutralen Kriterium, sondern orientiert sich an geheimdienstlichen Erfordernissen.

Die Quelle ist daher mit quellenkritischer Distanz zu lesen: Ihre dokumentarische Aussagekraft liegt weniger in ,objektiven‘ Tatsachen als vielmehr in der Rekonstruktion von Überwachungspraktiken, institutionellem Denken und Wirklichkeitsdeutungen innerhalb der DDR-Staatssicherheit.

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