Zeitungsbeiträge der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ zu ausländerfeindlichen Pogromen in Deutschland, 1992/93

Gewalträume/Schutzräume

Exponatentyp
Presseartikel
Datum
1992/93
Dauer
06:39 min

Zeitungsbeiträge der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ zu ausländerfeindlichen Pogromen in Deutschland, 1992/93

Gewalträume/Schutzräume

Die Zeitschrift Freiheitsglocke erscheint seit 1951 als Publikation der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V. (VOS). Die VOS ist eine der größten SBZ-/DDR-Opfervereinigungen. Ehemalige Speziallager-Insassen gründeten die Organisation 1950 in West-Berlin.

Zeitungsbeiträge der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ zu ausländerfeindlichen Pogromen in Deutschland, 1992/93

Leitartikel der Verbandszeitschrift Freiheitsglocke der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, Dezember 1992 und Januar 1993

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Allgemeine Informationen

Titel: Leitartikel der Verbandszeitschrift „Freiheitsglocke“ der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, Dezember 1992 und Januar 1993. Vereinigung der Opfer des Stalinismus

Medienart: Zeitungsartikel, Dokument

Autoren: Eberhard Reese/ Richard Knöchel

Jahr: 1992/1993

Umfang: 1 Seite/ 2 Seiten

Besitzende Einrichtung: Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V.

Empfohlene Zitierweise: Eberhard Reese: Weder „Haß“ noch „Feindlichkeit“. Falsche Argumente verraten, wer Unrecht hat. In: Freiheitsglocke 42 (Dezember 1992), Nr. 493. Abgerufen unter: https://dut-ausstellung.de/source/zeitungsbeitraege-der-vereinigung-der-opfer-des-stalinismus-zu-auslaenderfeindlichen-pogromen-in-deutschland-1992-93/.

Sowie: Richard Knöchel: Dann stünde es wahrhaft schlimm um Deutschland. In: Freiheitsglocke 43 (Januar 1993), Nr. 494. Abgerufen unter: https://dut-ausstellung.de/source/zeitungsbeitraege-der-vereinigung-der-opfer-des-stalinismus-zu-auslaenderfeindlichen-pogromen-in-deutschland-1992-93/.

Quelle in der digitalen Sammlung der Thulb

Transkript

Freiheitsglocke, Dezember 1992:

Weder „Haß“ noch „Feindlichkeit“. Falsche Argumente verraten, wer Unrecht hat.

Wer mit falschen Begriffen Tatsachen verdrehen und andere irreführen will, der weiß selbst, daß ihm gute Argumente fehlen. Wenn Hitler von Frieden sprach, dachte er an Krieg. Wenn die Kommunisten „Befreiung“ sagten, meinten sie Unterdrückung. Und wenn heruntergekommene Demokraten von „Null-Wachstum“ reden, wollen sie vertuschen, daß es kein Wachstum gibt. Jeder kennt ungezählte Beispiele für das Lügen mit falschen Begriffen.

Aber Millionen fallen immer wieder darauf herein. Das Großlügen heute will das „Asylproblem“ (das es gar nicht gibt – es ist ein Einwanderungsproblem) vernebeln. Da manipulieren nicht nur Knallrote und Grüne, sondern alle schwindeln mit – bis in die höchsten Etagen des Staates.

Da wird von „Ausländerfeindlichkeit“ und von „Fremdenhaß“ gefaselt, obwohl es das gar nicht gibt – von wenigen Schwachköpfen einmal abgesehen. Wer den Zustrom aus fast aller Herren Länder für verhängnisvoll hält, wer nur die in Deutschland haben will, die nach Artikel 16 des Grundgesetzes gemeint sind, „haßt“ keine Ausländer. Jeder Exote ist uns willkommen, der auf eigene Kosten als Tourist kommt oder der hier eine Ausbildung anstrebt. Unerträglich sind aber auf lange Sicht die Millionen, die auf unsere Kosten hier leben wollen. Sie sind vielfach als Nachbarn unerträglich, oft kriminell und nicht selten stellen sie unangemessene Ansprüche oder sie bilden politische Geheimbünde.

Wenn in Rostock oder anderswo fremdländische Einwanderer in den Gärten anderer Leute hausen, wenn ihre Fäkalien bis in das 10. Stockwerk stinken; wenn sie mit nächtlichem Lärmen an den Nerven der Anwohner sägen – dann ist das unerträglich. Und wenn weder die Gemeinde noch die Polizei noch das Land dieses Chaos beseitigt, bleibt nur die Selbsthilfe. Dann können die Betroffenen nur noch auf die Hilfe von Radikalen hoffen. Daß es so ist, stellt einen der großen Skandale der Politik dar.

Die Parteien ahnen wohl, daß es ihnen allen und sogar der Demokratie ans Leder geht, wenn sie die Belastungen durch Einwanderer nicht entscheidend zurückdrängen. Bisher geht das nicht, weil fast die Hälfte der Bevölkerung die Überflutung unseres Landes fortsetzen möchte. SPD und FDP stimmen nur solchen Regelungen zu, mit denen nichts – buchstäblich nichts – geändert wird. Große Massen laufen zusammen, um für weitere Einwanderung zu protestieren. Kein Scheinargument ist dabei zu dürftig. Den Besonnenen wird „Feindlichkeit“ und „Haß“ angedichtet.

Im Ausland schimpfen viele notorische Deutschenhasser auf die Deutschen. Sie zeigen stets mit dem Finger auf die Deutschen, weil deren verdammte Tüchtigkeit die gute D-Mark produziert. Aber in Deutschland sammeln sich weit mehr als doppelt so viele Einwanderer wie in allen anderen europäischen Ländern zusammen. Da ist es eine reine Frage des nüchternen Verstandes, wer eigentlich auf wen mit dem Finger zeigen müßte.

Eberhard Reese (FG)


Freiheitsglocke, Januar 1993:

Richard Knöchel. Dann stünde es wahrhaft schlimm um Deutschland…

Wer den Leitartikel von Eberhard Reese in der Dezember-Ausgabe der Freiheitsglocke gelesen hat, mußte glauben, die falsche Zeitung erwischt zu haben. Dabei ist es im Grundsatz richtig festzustellen, daß der ungehinderte Zustrom von Scheinasylanten und die Unfähigkeit der Staatsgewalt, mit diesem Problem fertig zu werden, erst die Gewalt auf die Straße brachte. Dies und nichts anderes war das Thema, das sich der Redakteur der Freiheitsglocke stellte und entsprechend seiner direkten Art abhandelte.

Der Bundesvorstand der VOS sieht dies auch nicht wesentlich anders, gibt den Vorkommnissen jedoch ein anderes Gewicht. Für ihn steht im Vordergrund aller Betrachtungen der rapide anwachsende Terror von Rechts. Wir sehen aber auch die Ausnutzung dieser Situation durch die linke Szene. Sie findet hier, um vom eigenen Unvermögen abzulenken, ein neues Betätigungsfeld.

Der schon totgeglaubten Hydra ist offenbar das abgeschlagene Haupt nachgewachsen und damit nicht nur Handlungsbedarf der Politik geboten, sondern Handeln längst überfällig. Wenn die Staatsmacht nicht endlich ihre Macht zeigt und die Gesetze, die damals, nachdem die Nazibarbarei besiegt war, geschaffen wurden, wird der Mob auf der Straße das Geschehen diktieren. Wir sind daher nicht bestürzt, beschämt und deprimiert über die Brandstifter und Mörder von Unschuldigen, nein wir sind empört, zornig und bereit, denen kräftig auf die Finger zu klopfen, die Verbrechen als legitimes Mittel zur Machtergreifung verstehen und auch entsprechend handeln.

Sicher, das Pendel der Geschichte schlug schon immer von der einen auf die andere Seite aus. Darin lag ja auch die Chance der Kommunisten nach dem Sieg der Welt über das nationalsozialistische Deutschland. Im Westen war es die christlich-liberale Idee, die eine bessere Zukunft verhieß. Erst der von der sozial-liberalen Koalition ins Leben gerufene und von den dann nachfolgenden Christlich-Liberalen fortgeführte supraliberale Umgang mit Verbrechern ächtete diese nicht mehr, so daß vor allem der rassistische Neo-Nazismus in Rudimenten erhalten und, wie wir heute sehen, damit lebensfähig bleiben konnte.

So brachte die Wende in der DDR für die ewig Gestrigen auch die Wende in ihrer Erfolglosigkeit. Auf Grund der Lebensverhältnisse in der Alt-Bundesrepublik ohne jede Chance, brachten die Wiedervereinigung und der Zusammenbruch des Weltkommunismus den Neo-Nazis die Möglichkeit eines Neuanfangs. Eine Aufgabe nie gekannten Ausmaßes traf Regierung und Volk gleichermaßen unverhofft und daher unvorbereitet.

Der Untergang der roten Diktatur in den Neuen Bundesländern schuf einen guten Nährboden für nationalistische Ideen. Nun, da die Lebenslüge vom Sozialismus marxistischer Prägung in brutaler Nacktheit vor den Menschen sichtbar wird, das eigene Ich sich vielen erschreckend enthüllt und Scham und Zorn einer 40jährigen Ohnmacht weicht, glauben viele in ihrer persönlichen Verzweiflung und Befindsamkeit den bisher chancenlos gebliebenen Neo-Nazis.

Nicht die zumeist abrißreifen, von den Kommunisten heruntergewirtschafteten Betriebe, nicht die Mißwirtschaft des sozialistischen Systems, so suggerieren diese Volksverführer lautstark diesen verzweifelten Menschen, sind Schuld an deren Misere der Arbeitslosigkeit, sondern ausschließlich die Ausländer, die ihnen angeblich Arbeitsplätze und Wohnungen wegnehmen. Eine Parole, die auch im Westen angesichts der Wohnungsnot und zunehmender Kurzarbeit reichlich Nahrung findet. Der Staat, offenbar auch durch die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus vorhersehbar gewordene Völkerwanderung ins „reiche Deutschland“ überrascht, zeigt unverzeihliche Schwächen, während sich das seit der sozialliberalen Koalition von Jahr zu Jahr größer gewordene Defizit im sozialen Mietwohnungsbau, die sozialen Unruhen verstärkend, nun bitter rächt.

So kann der jetzt gefundene Kompromiß in der Asylfrage, die bei Lichte betrachtet keine Asyl-, sondern eine Einwanderungsfrage ist, nur ein Anfang sein. Ihm muß als Erstes die konsequente Anwendung und Durchsetzung bestehender Gesetze auf dem Fuße folgen, soll nicht das ganze von Beginn an scheitern. Dies betrifft sowohl die umgehende Bereitstellung des zur Durchführung der Prüfverfahren notwendigen Personals, wie auch die sofortige Rückführung aller abgelehnten Asylbewerber.

Der vom Gesetz verbotene Hitlergruß muß genauso unnachsichtig bestraft werden wie das Absingen nationalsozialistischer Lieder und die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes. Der Rechtsstaat ist aufgefordert, Völker- und Rassenhetze zu verfolgen und zu bestrafen, wo immer dies vorkommt, damit die bisher nur von Einzelpersonen und kleinen Gruppen fanatischer Nationalisten terrorisierte Bundesrepublik Deutschland nicht länger ein Tiger ohne Zähne und Klauen bleibt.

Das alles aber bliebe dennoch unglaubwürdig, wenn dieser Staat nicht auch den Sieg des Volkes über den kommunistischen Real-Sozialismus durch entsprechende Gesetze zum Schutz vor einem Wiedererstarken des Kommunismus absichert. In dieser Richtung können wir bis heute nicht das Geringste feststellen. Wenn die Erlebnis-Generation dies auch weiterhin vernachlässigt, ja versäumt, wird es ein böses Erwachen geben, wenn eines Tages, so wie heute die Neo-Nazis, die „geläuterten“ Sozialisten die Welt in ein neues Chaos stürzen. Am Ende der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus stand wenigstens ein Verbot dieser Partei und deren Nachfolgeorganisationen; am Ende der Schreckensherrschaft des Weltkommunismus ist zwar die KPdSU, nicht aber die SED und ihre Nachfolgeorganisation verboten.

Verharmlosung und Leugnen der kommunistischen Greuel ist ebenso wie das Leugnen und Verharmlosen der rassistischen Greueltaten der Nazis Hilfe zum Überleben dieser ebenfalls zutiefst verbrecherischen Idee. Hat die Nazi-Idee die ganze Welt ins Chaos gestürzt, so hat der Welt-Kommunismus dies nicht minder. Ein ohne Krieg zerstörtes Land, die psychisch zerstörten Menschen in den neuen Bundesländern sind ein eindeutiger Beweis hierfür.

Dies alles aber zeigt, daß unsere Politiker nicht nur auf einem Auge, sondern auf beiden Augen blind sind. Hoffen wir, daß ihnen endlich die Augen aufgehen. Sie sind nicht blind, sondern nur ängstlich; vielleicht, weil viele von ihnen der Wahrheit nicht gerne ins Gesicht sehen. Wären sie aber tatsächlich blind, würde dies das Ende von Demokratie und Rechtsstaat bedeuten. Dann stünde es wahrhaftig schlimm um Deutschland.

Interpretationsvorschläge

Eberhard Reese schrieb den Beitrag „Weder ,Haß‘ noch ,Feindlichkeit‘“ nach dem rassistischen Pogrom von Rostock-Lichtenhagen. Vom 22. bis 26. August 1992 attackierten dort Rechtsextreme ein Wohnheim vietnamesischer Migrant:innen. Anwohner:innen schritten nicht ein und behinderten stattdessen Hilfskräfte.

Angeheizt wurden diese Ausschreitungen auch durch die öffentliche Diskussion um Migrant:innen („Asyldebatte“) in der BRD, in der seit Mitte der 1980er Jahre hilfesuchende Ausländer:innen verstärkt als angebliche „Asylbetrüger“ verunglimpft wurden – fast zeitgleich veröffentlichte die Freiheitsglocke erste Beiträge zum Thema.

Nach 1989 verschärfte sich die Situation: Die Aggression richtete sich zunehmend gegen Migrant:innen in der ehemaligen DDR (sogenannte Vertragsarbeiter), Hilfesuchende aus dem zerfallenden Jugoslawien sowie gegen Sinti:zze und Rom:nja aus Rumänien. Auch deutsche Spätaussiedler:innen und jüdische Flüchtlinge aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion waren Gewalt ausgesetzt. 1991/92 erreicht die Gewalt vorerst ihren traurigen Höhepunkt. 1992/93 führte eine Grundgesetzänderung zu einer starken Einschränkung des Asylrechts.

Eberhard Reese griff in seinem Beitrag zahlreiche Stereotype über Migrant:innen auf.

In beiden Artikeln findet eine Art Schuldumkehr statt. Erst die erhöhten Zahlen Schutzsuchender würden zu einer Radikalisierung und zu verstärkten Ausschreitungen führen. Kein Wort darüber, dass tiefsitzender Rassismus in der Bevölkerung und gewaltbereite rechtsradikale Gruppierungen das zentrale Problem waren.

Quellenkritik

In der Zeitschrift Freiheitsglocke finden sich in den 1980er und 1990er Jahren asylkritische Beiträge. Sie stammen vor allem vom ehemaligen GULag-Häftling und Redakteur Eberhard Reese – alias Sigurd Binski.

Nach den rassistischen Pogromen in Hoyerswerda und Rostock veröffentlichte Reese Ende 1992 einen Leitartikel. Darin rechtfertigt er die Gewalt. Diese Positionierung führte zu heftigen Protesten innerhalb des Opferverbandes. Der Bundesvorstand der VOS veröffentlichte daraufhin eine Stellungnahme. Für Reese hatte der Vorfall jedoch keine nachhaltigen Konsequenzen: Er blieb bis zu seinem Tod 1993 Redakteur der Freiheitsglocke und wurde später als „überzeugter Demokrat“ geehrt.