Ein älterer Mann geht mit seinem Hund spazieren. Im Hintergrund zu sehen sind die Plattenbauten in Weimar-West, ein Sandberg lässt auf Baustelle für weitere Wohnhäuser schließen.

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Lebensräume und die Bedeutung von Zuhause

Lebensräume und die Bedeutung von Zuhause

Wer an Wohnen in der DDR denkt, denkt gemeinhin an „die Platte“. Die Neubauviertel standen für das staatliche Versprechen auf angemessenen Wohnraum und bedeuteten für viele Menschen die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Tatsächlich verbesserten die Neubauten die Wohnsituation in der DDR erheblich. Doch nicht jede:r wollte gerne in einem solchen wohnen – obwohl die Altbauten kaum saniert wurden und zunehmend verfielen. Wie sahen Realitäten von Wohnen in der DDR und im vereinten Deutschland aus? Und wie gingen Bürger:innen mit auftretenden Problemen um?

Neue, größere Stadt. Erich Honecker übergibt die einmillionste Wohnung in Berlin-Marzahn

„Erich Honecker übergibt die einmillionste Wohnung in Berlin-Marzahn“_Filmstill

Fernsehbeitrag „Aktuelle Kamera“ vom 25.08.1978, Übergabe der einmillionsten Wohnung in Berlin-Marzahn

Wie inszenierte der Staat seine Wohnungsbaupolitik? Einen exemplarischen Einblick bietet ein Beitrag der DDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ aus dem August 1978: Feierlich übergibt der Staatschef Erich Honecker eine gerade fertiggestellte Jubiläumswohnung an eine Familie.

Das Wohnungsbauprogramm der SED

Mit dem Regierungsantritt Erich Honeckers 1971 hatten sich die Schwerpunkte der Politik in der DDR verschoben. Unter dem Motto „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ sollten die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessert werden. Ein entscheidendes Thema war die Versorgung mit Wohnraum, aber auch die Verbesserung des Zustands der Wohnungen. Viele Häuser in den Altstädten verfielen und wurden unbewohnbar. Oft warteten Familien jahrelang auf eine neue Wohnung. Das 1973 verkündete Wohnungsbauprogramm stellte einen zentralen Bestandteil der neuen Politik dar. Bis 1990 sollten drei Millionen Wohnungen gebaut oder saniert werden. Jedem Menschen und jeder Familie sollte danach eine passende Wohnung zur Verfügung stehen.

Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung

Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung, Seite 1

Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung

Trotz erheblicher staatlicher Anstrengungen blieb Wohnraum knapp. Altstädte verfielen, die Wohnsituation vieler Menschen verschlechterte sich spürbar. Ein Weg, den Bürger:innen gingen, um an eine der begehrten Neubauwohnungen zu gelangen, waren ,Eingaben‘ an staatliche Institutionen. Die Eingabe eines Familienvaters aus Halle zeigt, wie solche Schreiben verfasst waren. Darin schildert er die beengte Wohnsituation seiner Familie und versucht so, seinen Antrag auf besseren Wohnraum zu begründen.

Sperrwohnung: „Das Recht, vernünftig zu wohnen“

„Dokumente zur Lebensweise. Wohnungsprobleme 1982/83. Dokument II. Gesperrter Wohnraum“ (Vorschau)

„Dokumente zur Lebensweise. Wohnungsprobleme 1982/83. Dokument II. Gesperrter Wohnraum“
(Wohnzimmer-Interview mit Familie O.)

Eine ungewöhnlich direkte und in ihrer Offenheit überraschende Klage vermittelt ein Film aus dem Jahr 1982. Eine Familie aus Berlin-Johannisthal schildert die Probleme mit ihrer Altbauwohnung: Die Küche ist unbenutzbar, der angebotene Neubau in Marzahn kommt für sie jedoch auch nicht in Frage. Für die zeitgenössische Öffentlichkeit war dieser Film der Staatlichen Filmdokumentation (SFD) nicht bestimmt. Er sollte künftigen Generationen als Dokument damaliger Herausforderungen dienen.

Wütende Bürger – die DDR im Spiegel von Eingaben

Wütende Bürger:innen – die DDR im Spiegel von Eingaben

Eingabe

Öffentliche Kritik an den Wohnverhältnissen in der DDR und damit an der Politik der SED war kaum möglich. Anders sah es in der unmittelbaren Kommunikation zwischen Bevölkerung und Staat aus. Ihrem Unmut machten einige Bürger:innen in Eingaben deutlich Luft und forderten darin konkrete Lösungen ihrer Probleme. Ein Beispiel hierfür ist der Brief der Bewohnerin eines Altbaus, in dem sie – nicht zum ersten Mal – Heizungsprobleme bemängelt.

Besetzerinnen: „Sich reinsetzen in eine Wohnung“

„Dokumente zur Lebensweise. Wohnungsprobleme 1982/83 – Dokument I“ (Vorschau))

„Dokumente zur Lebensweise. Wohnungsprobleme 1982/83 – Dokument I“ („Wohnungsbesetzerinnen“ im Prenzlauer Berg)

Wo der Staat versagte, improvisierte die Bevölkerung. Eine drastische Maßnahme, der Wohnungsnot zu begegnen, war das Besetzen von gesperrtem Wohnraum. Warum sich Menschen zu solchen Handlungen gezwungen sahen, zeigt die SFD-Dokumentation. Hier legen zwei junge Mütter die Beweggründe für ihre illegale Besetzung dar. Wie alle Produktionen der SFD war auch diese lediglich zur Archivierung für spätere Generationen vorgesehen.

KW „Sofia“ – Stasi-Geheimtreffen im Neubaugebiet

KW „Sofia“ – Stasi-Geheimtreffen im Neubaugebiet

BArch, MfS, BV Erfurt, AIM 1168/86 – KW „Sofia“, Seite 6

In der DDR war Wohnraum nicht nur privater Rückzugsort, sondern zugleich ein Instrument staatlicher Überwachung. Gerade Neubaugebiete dienten dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als unauffällige Orte für Treffen mit Inoffiziellen Mitarbeitern (IM). Greifbar wird dies in einer Akte zu einer Konspirativen Wohnung (KW) in Erfurt.

„Ghettoviertel“: Ist Wohnen politisch?

„Stau – Jetzt geht’s los“ (1992) und „Neustadt (Stau – der Stand der Dinge)“ (2000)_Filmstill

„Stau – Jetzt geht’s los“ (1992) und „Neustadt (Stau – der Stand der Dinge)“ (2000)

Was einst als moderner Wohnraum galt, verkam nach 1989 zur verrufenen „Platte“. Während zahlreiche Menschen aus diesen Vierteln weg- und der Arbeit in den Westen hinterherzogen, entwickelten sich die ehemaligen DDR-Neubauviertel vielerorts zu Räumen des sozialen Abstiegs und der rechtsextremen Gewalt. Die Ausschnitte aus Thomas Heises Halle-Neustadt-Filmen zeigen diesen Wandel in der Wahrnehmung: vom „schönen neuen Wohnen“ zum als „Ghetto“ empfundenen „Armenviertel“.