Wütende Bürger – die DDR im Spiegel von Eingaben

Wohnen

Exponatentyp
Dokument/Akte
Datum
29.08.1978
Dauer
00:51 min

Wütende Bürger – die DDR im Spiegel von Eingaben

Wohnen

Der handschriftliche Brief vom 29. August 1978 ist eine Eingabe. Eine DDR-Bürgerin schildert darin die anhaltenden Heizungsprobleme in ihrer Wohnung. Auf zwei Seiten beschreibt sie ihre Frustration über die noch immer bestehenden Mängel in der Wohnung. Sie hat das Problem bereits mehrfach angesprochen – jedoch ohne Erfolg. In ihrer Verärgerung droht sie nun, sich mit einer Beschwerde an den Staatsrat zu richten. Der Brief zeigt die Enttäuschung über die schlechten Wohnverhältnisse und das Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Bürokratie.

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Eingabe, S. 1

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Halle, d. 29.8.78

WV 8.11.78

Oberbürgermeister
d. Stadt Halle
402 Halle
Rathaus

Eingabe

Hiermit möchte ich Sie davon in Kenntnis setzen, daß die Heizungsprobleme in unserer Wohnung immer noch nicht gelöst sind.

Es ist sehr traurig, daß trotz einer Staatsratseingabe und mehreren Rücksprachen mit Ihnen trotzdem noch niemand in der Lage war, wenigstens 1 Heizungskörper in unserer Wohnung einzubauen.

Die Beschlagnahme unseres Kellers, als es um den Ausbau der Gaststätte ging, ging wesentlich schneller von statten. Nach Rücksprache mit dem Gericht habe ich die Miete reduziert, weil die Wohnung nicht den Aufforderungen entspricht. Vor ungefähr 2 Monaten sind die Schornsteine neu gemauert worden. Es wird doch wohl möglich sein, wenigsten 1 Schornsteinerhitzer ins Wohnzimmer einzubauen.

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Eingabe, S. 2

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Wenn es nicht endlich zu einer Klärung dieser Verhältnisse kommen sollte, sehe ich mich gezwungen nochmals eine Staatsratseingabe zu machen und das Schreiben vom 6.12.77 beizulegen, in dem Sie mir mitteilen, daß bereits Heizkörper eingebaut wurden und die Angelegenheit erledigt ist.

Es ist eine Schande, daß unsere obersten Organe nicht in der Lage sind eine noch ungeklärte Angelegenheit zu Ende zu führen.

Hochachtungsvoll

[Unterschrift]

Allgemeine Informationen

Titel: Eingabe an den Oberbürgermeister der Stadt Halle

Medienart: Brief, Eingabe

Autorin: anonym

Jahr: 1978

Gesamtumfang: 2 Seiten

Besitzende Institution: Stadtarchiv Halle

Empfohlene Zitierweise: Eingabe an den Oberbürgermeister der Stadt Halle, 29.08.1978. Stadtarchiv Halle, A 3.25 Nr. 102_1_(1). Abgerufen unter: https://dut-ausstellung.de/source/eingabe-wuetende-buerger-die-ddr-im-spiegel-von-eingaben/.

Quelle in der digitalen Sammlung der Thulb

Transkript

Halle, d. 29.8.78

WV 8.11.78

Oberbürgermeister
d. Stadt Halle
402 Halle
Rathaus

Eingabe

Hiermit möchte ich Sie davon in Kenntnis setzen, daß die Heizungsprobleme in unserer Wohnung immer noch nicht gelöst sind.

Es ist sehr traurig, daß trotz einer Staatsratseingabe und mehreren Rücksprachen mit Ihnen trotzdem noch niemand in der Lage war, wenigstens 1 Heizungskörper in unserer Wohnung einzubauen.

Die Beschlagnahme unseres Kellers, als es um den Ausbau der Gaststätte ging, ging wesentlich schneller von statten. Nach Rücksprache mit dem Gericht habe ich die Miete reduziert, weil die Wohnung nicht den Aufforderungen entspricht. Vor ungefähr 2 Monaten sind die Schornsteine neu gemauert worden. Es wird doch wohl möglich sein, wenigsten 1 Schornsteinerhitzer ins Wohnzimmer einzubauen.

Wenn es nicht endlich zu einer Klärung dieser Verhältnisse kommen sollte, sehe ich mich gezwungen nochmals eine Staatsratseingabe zu machen und das Schreiben vom 6.12.77 beizulegen, in dem Sie mir mitteilen, daß bereits Heizkörper eingebaut wurden und die Angelegenheit erledigt ist.

Es ist eine Schande, daß unsere obersten Organe nicht in der Lage sind eine noch ungeklärte Angelegenheit zu Ende zu führen.

Hochachtungsvoll

[Unterschrift]

Interpretationsvorschläge

Die Eingabe zeigt die Unzufriedenheit mit der Wohnsituation in der DDR der 1970er Jahre. In Eingaben konnten DDR-Bürger:innen ihren Unmut zu verschiedenen Problemen schriftlich formulieren. Die jeweiligen Ämter und Behörden mussten dann innerhalb einer festgelegten Frist reagieren. Der vorliegende Brief bzw. die vorliegende Eingabe zeigt, dass dies geschehen war. Gleichzeitig verdeutlicht das Dokument, dass diese Antworten nicht immer zu Lösungen der Probleme beitrugen. Vor allem die Sprache der Schreiberin verdeutlicht beispielhaft das Verhältnis zwischen Staat und Individuum in der DDR. Hier tritt eine selbstbewusste Bürgerin auf, die den städtischen Behörden droht. Das hierarchische Staatsverständnis der Bürgerin wird zudem daran erkennbar, dass sie im Falle einer nicht erfolgten Problemlösung eine weitere Eingabe an den Staatsrat in Aussicht stellt. Tatsächlich zeigt die Analyse von Eingaben, dass die jeweils übergeordnete staatliche Instanz darauf drängte, die Probleme vor Ort – in den Kommunen, Kreisen, aber auch in den Betrieben – zu lösen. Die Probleme der Bürger:innen wurden somit nicht einfach ignoriert. Dort, wo die Ressourcen vorhanden waren, versuchte man zu handeln.

Weitere Ausstellungskategorien

Gewalträume/Schutzräume Träume & Albträume

Quellenkritik

Eingaben werden in den Geschichtswissenschaften sehr unterschiedlich interpretiert. Zum einen werden sie als Herrschaftsinstrument gedeutet. Das heißt, ihnen wird nur eine geringe Wirkmächtigkeit zugesprochen. Zudem können sie als eine Kompensation für fehlende demokratische Mitsprachemöglichkeiten gesehen werden. Da die SED nicht abgewählt werden konnte, sollte der Unmut der Bürger:innen auf diesem Weg kanalisiert werden. Zum anderen verdeutlicht die Analyse von Eingaben, dass der Staat auch auf die Probleme der Bürger:innen reagierte. Nicht selten wurden die beschriebenen Probleme letztlich auch gelöst – sofern die Eingaben keine Fundamentalkritik an den bestehenden politischen Verhältnissen beinhalteten und so zu einem Fall für die Staatssicherheit geworden wären.

Eingaben sind Ego-Dokumente. Das heißt, sie zeigen individuelle Perspektiven einzelner Personen. Aus diesen Perspektiven kann nicht direkt auf die Allgemeinheit geschlossen werden. Sie müssen mit weiteren Eingaben oder anderen Quellen abgeglichen werden. Zudem spiegeln Eingaben vor allem die Perspektive jener wider, die in ihrem Alltag ein Problem wahrnahmen. Das heißt, jene Menschen, die zufrieden mit ihrer Lebenssituation waren, bleiben mit Blick auf Eingaben stumm.

Eine weitere Eingabe findet sich hier: Antrag auf Zuweisung einer Neubauwohnung